Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Haben Sie auch reserviert?

∞  18 Februar 2009, 19:03

Wir reisen so ganz vergnügt ab Zürich Richtung Frankfurt. Der Zug ist noch fast ganz leer, aber ausgerechnet unser Tisch mit seinen vier Plätzen ist voll belegt. Man mach sich ein bisschen bekannt unter einander und tauscht auch mal eine Bemerkung nach rechts und nach gegenüber aus. Meine Mitreisenden werde ich in Karlsruhe verlieren.

In Freiburg zwängen sich dann deutlich mehr Reisende durch die Gänge und suchen nach ihren Plätzen. Nun, wo praktisch alle Sitze belegt sind, rollt eine dunkle Wolke heran, bestehend aus einer Handvoll älteren Damen mit großen Koffern und lauten Stimmen. Sie suchen nach ihren Platznummern. Das gleich ausbrechende Konfliktpotential ist offensichtlich:

Ein knochiger Finger schneidet durch die Luft und zeigt auf meine Nachbarin am Fenster.

“Diesen Sitz habe ICH reserviert.”

“Ich auch. In Wagen 6. Haben Sie auch Wagen 6?”

“Ja, das ist Wagen 6. “

“Das war nicht die Frage…”

Niemand kontrolliert oder zeigt gar sein Ticket.

Man scheint auf den Zugbegleiter zu warten und ist sich einig, dass das wieder mal eine Katastrophe ist mit der Deutschen Bahn und dem Personal. Bis eine der Matronen eine Bemerkung macht, aus der klar wird, dass die Gesellschaft Reservationen ab Karlsruhe hat, aber schon in Freiburg zugestiegen ist. Nun verziehen sich die Heldinnen der gepflegten Bahnreise, wobei sie das so umständlich tun, indem sie sich auf die freien einzelnen Plätze im ganzen Wagen verteilen, dass verschiedene Mitpassagiere mehrmals aufstehen müssen, bis alle mit ihrem Plätzchen zufrieden sind.

In Karslruhe folgt dann der grosse Platzwechsel, und die beiden Anführerinnen bemühen sich an unsere Sitzgruppe und nehmen fliegend ihre Sitzplätze am Fenster ein.

Nachdem endlich Ruhe eingekehrt ist und der Zug schon längst wieder Fahrt aufgenommen hat, nähert sich im nun praktisch bis auf den letzten Platz gefüllten Wagen eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn. Sie bleibt genau vor unserem Tisch stehen und fragt meine Sitznachbarin am Fenster:

“Haben Sie Ihre Plätze reserviert?”

“Ja, haben wir.”

“Wir auch.”

Ich frage: “Haben Sie auch Wagen sechs?”

Die Frau im Gang nickt stumm mit dem Kopf, ein wenig Verzweiflung im Gesicht. Die beiden Matronen am Fenster haben kein Problem und schauen in die gleitende Landschaft hinaus. Man wartet ganz offensichtlich auf den Zugbegleiter. Wieder ist man sich einig über die Deutsche Bahn, deren mangelnden Service und das Unding doppelter Reservierungen. Wieder kontrolliert niemand seine Fahrkarte. Dafür habe ich nun die Stricknadeln der Matrone neben mir bedrohlich nahe am Gesicht und ihre Ellbogen gelegentlich in den Rippen, weil sie aus unerfindlichen Gründen ihren Rucksack neben ihren breiten Hüften am Fenster auf den Sitz geklemmt hat und darum in meine Richtung ausweichen muss. Ich beschliesse, mit jeglicher Intervention noch zu warten, bis der Zugbegleiter da ist, auf den neben mir ganz offensichtlich nur die Mutter mit Kind wartet. Da ist der Zugbegleiter dann auch schon, der eine Sie ist. Nun werden auch endlich die Fahrscheine gezückt, quasi unter Anleitung, und es erfolgt der freundliche Rat an die Matronen, jeweils die Platzreservationskarten entsprechend der Hin- und Rückreise zu konsultieren, und deshalb wären deren Plätze eben nicht 25 und 26, sondern 61 und 62.

Also wieder raus aus der Gemütlichkeit, natürlich ohne ein Wort der Entschuldigung. Dafür ahnt man schon das Problem:

Ob denn die Plätez 61 und 62 wenigstens frei wären?

Antwort: Sie waren es. Mittlerweile aber nicht mehr, und leider würde die Reservation verfallen, wenn die Plätze nach Fahrtantritt nicht belegt würden.

Die maulige Antwort, das wäre doch reichlich spitzfindig, müsste man sich doch nicht allzu selten durch den ganzen Zug zu seinen Plätzen kämpfen und könne daher seine Sitze gar nicht so schnell einnehmen, gerät dann auch ziemlich lahm, muss aber dennoch ausgesprochen werden (Stimmt ja auch: Bei dieser Vorgehensweise dauert das Platznehmen ja auch länger als die Fahrt von Freiburg nach Karlsruhe… ). Im Gegensatz dazu unterbleibt jede Entschuldigung an die Mutter mit ihrem Sohn, oder gar an die anderen Mitreisenden, die gestört wurden.

Die Zugbegleiterin bleibt übrigens durchwegs freundlich. Ihr dürfte dabei das Wissen um Platz 61 und 62 sehr geholfen haben…