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Grünliberale werden zu einer neuen Schweizer Kraft

∞  3 April 2011, 23:33

Der Kanton Zürich hat gewählt. Ein Schulbeispiel, wie sich Schweizer Politik umgestaltet, aber nie Hals über Kopf grundsätzlich verändert.


Das Jahr 2011 ist ein so genanntes “Superwahljahr” in der Schweiz, mit nationalen Parlamentswahlen im Herbst – und Neuwahlen in diversen Kantonen. Entsprechend gespannt hat das Land heute beobachtet, was im Kanton Zürich geschieht.
Ja, auch wir verfolgen die Nachrichten aus Japan. Auch bei uns gibt es Debatten über die Kernkraft und werden Bestrebungen und Bewilligungsverfahren für neue Kernkraftwerke politisch gebremst. Auch bei uns war und ist zu erwarten, dass sich grüne Anliegen in der Politik eher durchsetzen können als bisher. Und auch hier suchen Parteien nach neueren oder klareren energiepoliitschen Positionen. Es gibt aber, neben der scheinbar angeborenen grösseren Gelassenheit, basisdemokratische Gründe dafür, dass Kehrtwendungen, wie sie deutsche Parteien vollführen, in der Schweiz nicht angesagt sind:
Denn eine grundsätzliche Ausrichtung der Energiepolitik ist eine so schwergewichtige Entscheidung, dass sie nur mit der Unterstützung eines Volksentscheids umgesetzt wird. Und darum kommt in der Schweiz niemand auf die Idee, einen imaginären “Staat” oder die “Regierung” für die stehenden und noch immer laufenden Kernkraftwerke verantwortlich zu machen. Es sind vielmehr “wir”. Denn wir haben darüber abgestimmt und uns in der Mehrheit dafür ausgesprochen. Genau so, wie wir später Kaiseraugst abgelehnt haben.

Und wenn grüne Politik zu realitätsfremd agiert, ihr Grundanliegen aber ein Grundbedürfnis breiterer Bevölkerungsschichten darstellt, dann ist es in einer direkten Demokratie mit Konsens-Politik in Mehrparteienregierungen sehr viel schneller geschehen, dass sich eine neue politische Bewegung in Parteiform bildet. Und so wurde aus einem Teil der Grünen eben die Grünliberale Partei der Schweiz geboren – mit dem Ziel, wirtschaftliche Prosperität und energiepolitische grüne Vernunft in Einklang zu bringen. Überspitzt könnte man sagen, dass die nun regierenden Grünen in Baden Württemberg wohl ein Regierungsprogramm suchen dürften, das sehr nahe beim grünliberalen Selbstverständnis der noch sehr jungen Schweizer Partei anzusiedeln sein könnte.

Das erklärt, wie das Ergebnis im Kanton Zürich zustande kam:

Die Grünliberalen haben ihre Sitze fast verdoppelt und stellen zukünftig gleich viele Parlamentarier (19) wie die Grünen, die nicht zulegen konnten, dafür aber neu mit Martin Graf in der Exekutive vertreten sind. Die neue Mitte hat also die Wahlen gewonnen, denn auch die BDP gewann auf Anhieb 6 Mandate. SP (-1) und SVP (-2) an den politischen Polen mussten minime Verluste hinnehmen.

Der Niedergang der FDP ist allseits gern genommenes mediales Thema. In der Tat ist die Talfahrt auch nicht gestoppt worden: Es bleiben ihr 23 Sitze (-6). Wirklich dramatisch aber ist die Einbusse der CVP: Noch 9 Mandate (-4). Und mit Hans Hollenstein wurde zum ersten Mal seit fast einem halben Jahrhundert ein amtierender Regierungsrat abgewählt – zum ersten Mal seit fast 50 Jahren… Gerade noch 4.9% der Zürcher wählen CVP…

Gesamthaft wünscht sich der Zürcher also eine grünere Politik, aber bitteschön hübsch eingemittet in den politischen Realitäten aller vorhandenen Sachzwänge, die allerdings nicht zum Feigenblatt für Umweltanliegen werden sollen, zumindest nicht mehr. Und die SVP ist für einmal nicht das grosse Brimborium-Thema der Wahl. Die Partei hat sich zurück gehalten, hat den Kopf eingezogen, aber auch nicht in Aktionismus gemacht: So wurde ihr die atomfreundliche Energiepolitik nicht zum Stolperstein, nur zum Wachstumshemmnis. Die FDP würde sich wohl wünschen, man hätte es ähnlich gehalten in den Stellungnahmen…

Es bewegt sich also auch bei uns etwas- aber da wir alle immer irgendwie mit am Rad drehen und immer 50.1% von der Richtung des Rades überzeugt werden müssen, geht das alles in kleinen Schritten vorwärts. Auch die Veränderung. Aber es gilt: Wir bewegen uns doch! Und wir sind gefragt. Weiterhin. Jahr für Jahr in vielen direktdemokratischen Entscheidungsprozessen.