Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Gestatten: Meine Lehrmeisterin - und andere Arbeiter

∞  13 August 2010, 22:00

Was ist Arbeit wert? Was verdiene ich für meinen Einsatz? Gibt es darauf überhaupt eine richtige Antwort?

Mein privates Umfeld ist gesellschaftlich relativ breit gefächert. Aber besonders Bekanntschaften im Internet werden nicht durch die üblichen Mechanismen behindert oder befördert, die uns allen sonst immer gern viel schneller eigen sind, als wir wahrhaben wollen (“das ist ein Gestopfter / das ist nur ein Arbeiter / das ist ein Ausländer / das ist ein Arbeitsloser / der hat es geschafft” etc.). So kommt es, dass man, wenn man denn hinliest, die verschiedensten Anschauungsbeispiele kennen lernt, was denn “Arbeiten” bedeuten kann.

Ich habe nie viel tun müssen, um einen Job zu kriegen – und ich habe mich dabei auch noch meist anständig bezahlt gefühlt. Ich habe gute Schulen besuchen können, weil meine Eltern für die entsprechenden Startblöcke gearbeitet haben. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich in der Folge über Gebühr habe anstrengen müssen, um die Kurve zu kriegen. Vieles ist mir sehr leicht gefallen. Man kann auch sagen, ich habe eine Menge Schwein gehabt. Okay, ich habe in Schulferien früh gelernt, was Fliessbandarbeit heisst, aber nicht, weil ich für mein Nötigstes nicht anders konnte, sondern weil ich nach Südfrankreich in die Ferien wollte, und wohl auch, weil meine Eltern fanden, dass mir das ganz bestimmt nicht schaden würde. Womit sie vollkommen Recht behalten haben.

Manchmal frage ich mich, ob meine “Fähigkeit”, mich nicht für eine Karriere zu verkaufen, mein inneres Bewertungssystem nicht einer gewissen Bequemlichkeit entspricht, die mir mein Geschick hat durchgehen lassen: Es ist ja nicht wirklich eine Leistung, inr ein wenig persönlich verfügbare Zeitmehr Wert zu sehen als in einem dicken Schlitten vor der Tür. Da sitze ich also nun in Verhältnissen, für die ich nur einfach dankbar sein kann, und blicke mich um, höre zu, und lese. Und, liebe Leser, WAS ich lese, höre und sehe und erlebe, lässt mich immer wieder staunen. Nein, es macht mich still und demütig, und manchmal ist das, was mich packt, mit dem Wort Ehrfurcht durchaus zutreffend zu beschreiben.

Ich meine damit Menschen, die für ein paar Brötchen jeden schmerzenden Knochen vergessen, die auch nach einer harten Schichtwoche nicht klagen. Ich denke an eine Frau, die nach einem weiten Anfahrtsweg Freunden an einem Gartenfest hilft und dann mitten in der Nacht einsam wieder zürück fährt. Ich denke an einen Mann, der, nach dem Flug über grosse Teiche mit fast einem halben Tag Zeitunterschied aus dem Flugzeug steigt und gerade mal ein paar Stunden später auf einer Leiter fünf Meter über dem Boden Sonnenblenden ausklinkt, weil die Freunde diese endlich los werden möchten und selbst nie dazu kommen, diese zusätzliche Arbeit zu machen. Später ist er am Fensterputzen – die Koffer stehen noch immer unausgepackt “zu Hause”. Und wenn er dann Kaffee trinkt, lacht er und sieht aus, als wäre er schon immer da gewesen und hätte nie was anderes gewollt, als arbeiten.

Und ich denke an eine Freundin, die ihren neuen Job beschreibt: Endlich Arbeit! Sie beschreibt eine Funktion an einem Fliessband, und die Art, wie sie es tut, haut mich wirklich um. Ganz ehrlich, liebe Leser:
Wenn sie das nächste Mal eine Schokolade aus der Verpackung rupfen, nervös und gedankenverloren, mit den Gedanken ganz woanders, während sie in die Herrlichkeit beissen, ohne wirklich zu geniessen, dann sollten Sie sich was schämen. Sie glauben gar nicht, wie viel Achtsamkeit man darauf verwenden kann, dafür zu sorgen, dass diese Schokolade ordentlich, nein, perfekt verpackt in die Regale kommt. Sie haben keine Ahnung davon, wie hart so ein Tag in der Verpackung sein kann und wären vielleicht, wie ich, schon nach einem Tag reif für eine Woche Ferien. Und diese Frau, die längst eine Freundin ist, macht mir eine ganze Menge vor. Kein anderer Mensch hat in den letzten Jahren meine eigene Unzufriedenheit so ad absurdum geführt wie sie. Worüber ich mich aufregen kann und was mir an meinem Alltag alles leid tun kann – es ist einfach unglaublich. Würde ich nur einen Tag so konzentriert, demütig und freudig aufmerksam an meinen Dingen hocken, wie diese Freundin am Fliessband steht, so hätten meine Mitarbeiter selbst sehr viel mehr Spass an ihrer Arbeit, weil ich damit sogar noch ansteckend wäre.
Thinkabouts Wife hat nichts anderes getan, als mir aus dem Mail unserer Freundin vorzulesen. Sie beschreibt ihre neue Arbeit mit ganz einfachen Worten. Aber es liegt eine so wunderschöne Reinheit darin, eine so unprätentiöse Schilderung auch der Schmerzen, wenn die Glieder weh tun. Man mag gar nicht trösten. Es ist überhaupt nicht nötig. Denn die Freude über die Arbeit, die da durchdringt, die rüttelt mich auf, packt mich, und bleibt haften.
Einen Moment will ich wütend werden, dass es so lange gedauert hat, bis diese so reine Seele, dieses Kämpferherz, das nie aufgegeben hat, mag man ihm noch so auf den Brustkorb gedrückt haben, die Chance gekriegt hat, an einem Ort wenigstens wie diesem zu zeigen, wie wertvoll sie ist.
Sie würde mich, womöglich, nun tadeln oder gar nicht verstehen. Denn sie blickt nicht zurück, sie steht morgen wieder um 4h15 auf, um rechtzeitig zur Schicht um sechs da zu sein, und ist einfach glücklich über das Jetzt.
Vielleicht wird sie ausgebeutet, könnte gerade sie, Job hin oder her, ein langes Klagelied über unser System singen, das Menschen ohne geschenkte Ausbildung eben nicht Chancen erlaubt wie mir, aber ich denke, sie hätte gar keine Lust zu hadern. Sie beschäftigt sich stattdessen damit, die gefundene Arbeit mit dem inneren Wert zu vergolden, den sie dem zumessen kann, was ihr beschieden ist.
Arbeit hat oft einen schlechten Lohn. Ob sie einen Sinn hat und welchen – das müssen wir alle aber selbst immer wieder neu herausfinden. Ich habe eine tolle Lehrmeisterin mehr, die mir dabei zur Hand geht mit ihrem Beispiel.