Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Gerade im Ungleichgewicht dreht sich das Geld noch schneller

∞  14 Juni 2011, 21:55

Die Welt ist am Abserbeln – und bietet gleichzeitig alle Chancen. Dem Einzelnen. Der Mensch wird als Individuum angesichts der Bedrohungsszenarien nur froh, wenn er sie ausblenden kann und sich selbst bei den Siegern sieht. Was es aber braucht, um grobe Missverhältnisse umzukehren – und wann es welche Massnahmen braucht – dafür wird sich kaum mehr ein Rat des Weisen finden lassen. Oder aber wir glauben ihm nicht. Denn unsere Nachrichtenflut gebiert zu jeder volkswirtschaftlichen Sichtweise ein Gegenargument – zur freien Bedienung, was auch immer zupass kommt.


Im Arbeitsprozess, in Marktanalysen, Wettbewerbsdebatten, bei Konsumentenforen – wir können es überall spüren, hören und sehen, wenn wir es denn wollen: Die Welt und ihr wirtschaftliches Machtgefüge verändert sich. Der Prozess ist schon lange angeschoben worden, aber nun kommen die Fundamente so richtig ins Rutschen, oder Gleiten, und die schöne weite globale Welt schafft das, was in der Theorie gar nicht möglich sein sollte: Das Primat des Stärksten. Die Marktmacht Chinas wird weiter zunehmen, ohne dass China selbst wirklich frei operieren könnte – was die Lage noch komplizierter und gefährlicher machen wird: Die enormen Währungsreserven in US-Dollars und zunehmend in Euros werden auch zu einem Problem, auch und gerade wenn die Handelsüberschüsse im Export zunehmen. China wird immer reicher – wovon viel zu wenig schnell ausreichend viele Menschen profitieren. Die Teuerung im Land ist hoch, sie drückt die Ärmsten, die Arbeitskräfte zu Boden.

Dabei ist es mit den Nachrichten aus dem gelben Riesenreich wie mit allen anderen News zur Weltwirtschaft: Die Welt ist pleite – aber es machen viele Menschen damit gute Geschäfte, nein, extravagant ausufernde Geschäfte. Es ist so viel Geld in Umlauf, und es wird immer mehr. Die Schuldenkrisen erfassen ganze Kontinente. Die Welt hebt sich aus den Angeln. Und während wir darüber nachsinnen, wie Klimaziele erreicht werden sollen, liest man gleichzeitig: Gute Aussichten für hochwertige Autos. Sie sind so gefragt, dass das Oberklasse-Segment doppelt so schnell wächst wie der Gesamtmarkt. Und die Verkaufslogik, welche Trends erfassen, ausnützen und ihnen “Futter” geben will, entwickelt dann eben hochgezüchtete Oberklassmaschinen, welche fürs gute Gewissen einen Hybrid-Motor oder sonst ein nettes Detail mit geliefert bekommen, mit dem man sich dann das Mäntelchen des bewussteren Autonutzers umhängt – so im Bereich der 250 PS. Wer Geld hat, mag das nicht nötig haben, wer Geld macht, immer mehr verdient, will diese Dinge haben und nicht blöde Fragen dazu beantworten. Es gibt so viele Chancen, scheint es…

Und unser aller Problem, die wir uns irgendwo in dieser irren Welt erkennen sollen, ist die Nachrichtenflut: Es war wohl schon immer so, dass es in Volkswirtschaften mit harzigem Motor dennoch Profiteure und Gewinner gab – aber man fand sich wohl viel eher zurecht, Moral oder was auch immer nach einer Besinnung rief, war leichter zu mobilisieren. Heute “wissen” wir so viel, dass wir selbst zu jedem “Soll-Programm” drei “Ja-Abers” hinzu fügen können. Und alle könn(t)en irgendwie irgendwann Recht haben. Eines aber ist klar: So, wie wir leben wollen, kennt unser Fokus nur eine Richtung: Vorwärts, immer weiter, immer Mehr. Eine andere Perspektive gibt es nicht. Wachstum, freier Markt, Perspektive – wir setzen es immer mit wirtschaftlicher Prosperität gleich, denn wir haben es 60 Jahre lang gehört, und oft hat es richtig geklungen: Wirtschaftliche Entwicklung schafft Frieden.

Gerade darum könnte es geschehen, dass man vor der Unmöglichkeit, das wirtschaftliche Gebäude im Euro-Raum aufrecht erhalten zu können, zu lange die Augen verschliesst. Denn hinter dem blinden Versprechen, dass es immer allen besser gehen wird, steckt eine Gewissheit: Wenn sich das nicht erfüllt, ist die Solidarität schnell weg. Es gibt sie, europäisch verstanden, auch gar nicht. Ich fühle sie auf jeden Fall nicht, und sehen kann ich sie erst recht nicht. Tatsächlich ist es dann um den Frieden am besten bestellt, wenn souveräne Staaten einander wirklich brauchen. Wenn eben die Machtverhältnisse in einer Balance stehen. Genau dies geht gerade verloren, denke ich.