Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Genesung ist oft ein Sieg der Zuversicht

∞  22 Februar 2012, 10:18

Die meisten von uns sind gesund. Oder fühlen sich so. Niemandem will ich das ausreden. Aber ich möchte heute ein paar Gedanken für jene aufbringen, die plötzlich aus diesem Gefühl heraus gerissen werden und sich in einer Situation wiederfinden, die ihnen wie ein böser Traum vorkommt.

Herzinfarkte, Hirnschläge, ein Unfall – mit einem Schlag aus dem Nichts sind alle Lebensperspektiven verschoben – und die Rehabilitation gestaltet sich unter Umständen schwierig, langwierig, und sie braucht von den Betroffenen eine tägliche Ration Mut, sich immer wieder neu gegen Resignation oder Verzagen zu behaupten – und vor allem das Zutrauen ins Leben wieder zu finden: Denn sie tragen eine Angst mit sich, die sehr, sehr schwer zu bekämpfen ist: Was geschehen ist… was, wenn es sich wiederholt? Warum sollte es das nicht? Nichts scheint mehr sicher.

Die so real erfahrene Gefahr lauert für immer im Dunkeln, und es ist gar nicht so leicht, das geschenkte weitere Leben wirklich frohen Mutes anzunehmen. Vielleicht erlebt man sich in der langen Genesungsphase als furchtbar ungelenk, schwerfällig, schnell müde werdend, und wie Hohngelächter ist womöglich da die Erinnerung an frühere Zeiten, als das, worin man wirklich gut war, so schwerelos leicht gelang, während nun jeder kleine Schritt, jeder Versuch, das Wissen anzuwenden, unendlich schwer fällt.

Man möchte alles ablehnen, sich einigeln, die Läden schliessen, im Dunkeln bleiben und das tun, was Körper und Geist offensichtlich wünschten: Einfach nur schlafen.

Es gibt in dieser Situation Phasen, in denen diese Menschen geradezu autistisch wirken, so, als ginge ihnen alles Gefühl, jede Empathie für andere ab. Aber es ist wohl viel eher die gesunde Reaktion der eigenen Überlebensinstinkte, welche die Energiereserven auf sich selbst bündeln: Die eigene Krise erfordert alle Energie und die absolute Konzentration. Als würde Egoismus gelernt, um überleben zu können.

Gerade in solchen Situationen können Freunde, die es doch so gut meinen, sich zurückgesetzt fühlen, denn sie werden dann genau so abgewiesen oder erreichen den geliebten Menschen einfach nicht mehr. Aber es ist falsch, sich dann brüskiert zu fühlen, mag es auch noch so verständlich sein, denn man will ja nur das Beste. Doch auch damit setzt man Konditionen, Bedingungen, Anforderungen, und nur schon der Verdacht, was zu schulden, kann beim Umsorgten Stress auslösen.

Es bleibt nur eines, aber das aus ganzem Herzen: Manchmal hilft man am meisten, wenn man zurückstehen kann, wenn man genau das aushält, “was man nicht verdient”. Der grösste Liebesdienst kann im Umstand liegen, dass man in einer bestimmten Situation sich von einem Freund in keinem Fall beleidigt fühlt – weil dieser Mensch nur versucht, mit sich selbst zurande zu kommen, mit jener Person also, die wir in ihm selbst so sehr lieben. Wer sollte ihn jetzt verstehen, wenn nicht gerade seine Freunde?

Zurückgewiesenen kann dann helfen, einen nüchternen Blick auf das Leben des Freundes zu wagen und einfach mal neu zu staunen, welche Kräfte dieser doch aufbringt: Es sind die ganz kleinen Haltungskorrekturen, mit denen er sich durch jeden mühsamen Tag kämpft und in denen er gegen seine Ungeduld kämpft. Während wir das positive Denken üben – muss er es fühlen und glauben können. Gegen jede Angst und jeden Schmerz. Er sollte gerade jetzt hören dürfen, wie viel er doch gibt – auch dann, wenn er meint, nur eine Last zu sein.

Niemand ist nur eine Last. Jeder kämpft gegen die Dämonen der inneren Angst vor Einsamkeit, Alleinsein und gegen jene Leere, die bodenlos verzehrend scheint. Wer die Bedrohung einer schweren Krankheit erlebt hat und das Leben bejahen kann, schenkt mir immer Mumm, mich meinen eigenen Fragen zu stellen. Immer wieder neu. Auf dass die Zuversicht meinem gesunden Leben erhalten bleibe und ich selbst nicht krank werde am Umtrieb innerer Sorgen. Wer weiss, wie bedroht das Leben immer ist und das akzeptieren kann, wird ganz neu lebendig. Ein Lohn, der durch jede Mühsal einer noch so schwierigen Genesung sichtbar werden kann.