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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Geistesgifte im eigenen stillen Kämmerlein

∞  16 Dezember 2008, 21:44

Ich habe in diesen Tagen beim Lama Yeshe Losal von einer tibetischen Meditationslehre über die fünf zentralen Geistesgifte gelesen – negative, umtreibende Emotionen und Gedanken, die verhindern, dass wir zu einer gedankenfreien und gefühlsmässig unbeschwerten Leere finden.

Die fünf Geistesgifte sind

Eifersucht
Wut
Unwissenheit
Verlangen (und jede Form von Anhaftung)
Stolz

Und gestern kam mir folgender Gedanke, den ich bisher (und nachher wieder) still mit mir herum trage:

Auf den ersten oberflächlichen Blick sind alle diese Gedanken und Gefühle auf die Menschen um uns herum gerichtet. Im Streit, im Vergleich, im Verdacht, in der Eitelkeit liegt immer die Ausrichtung und Abhängigkeit auf andere. Doch stelle ich mir einmal vor, ich zöge mich zurück, verzichtete auf Kontakte, würde Mönch. Oder versuchte nur mehr als bisher, in zurückgezogenen Phasen mit mir allein zu sein.
Würden diese Emotionen und Gedanken verschwinden? Nein. Sie träten einfach direkt mit mir in Widerstreit. Demaskiert würde ich erfahren, dass sie das schon immer getan haben.

Ich richte meinen Zorn auf einen Nachbarn, und meine mich. Ich meine immer etwas in mir. Sonst fühlte ich mich gar nicht betroffen.

Eifersucht? Sie richtet sich nie nur gegen andere Menschen. Denken Sie mal an Ihre Schwierigkeiten, wenn Sie versuchen, eine schlechte Angewohnheit, eine Schwäche los zu werden. Wie stark werden da die Kräfte in ihnen selbst, die eifersüchtig danach trachten, keinen Einfluss zu verlieren?

Die Wut, die in unserer inneren Unruhe liegt, sich nur schlafen legt, wenn der äussere Umstand scheinbar wegfällt. Wie ruhig können wir denn überhaupt werden mit dieser uns eigenen Wut?

Die Unwissenheit, unsere Unsicherheit, alles an und in uns, was uns in die Oberflächlichkeit fliehen lässt – es schweigt nicht, wenn wir es ins stille Kämmerlein tragen. Ganz im Gegenteil.

Und das Verlangen? Das ist geradezu der Klassiker. Sind wir allein, auf uns zurückgeworfen, kleidet es sich neu und stellt sich als Fräulein Sehnsucht vor. Gerade das Verlangen ist eine Klette. Darum ist das entlehnte, bei uns nicht wirklich heimische Wort der Anhaftung dafür trotzdem so passend.

Und der Stolz! Als wenn er zusammen fallen würde, nur, weil wir keine Bühne haben, auf der wir uns produzieren könnten mit dem Antrieb der ihm assistierenden Eitelkeit. Oh nein. Wir sind gar schnell bereit, uns ins Kreuz zu werfen; und vor der tiefsten Reflexion steht uns oft gerade der Stolz als letztes Geistesgift im Weg, gerade wenn die befreiende Demut lockt, die keine Anbiederung an gar nichts kennt, sondern nur Ausdruck einer Erlösung ist: Der Kern des Seins braucht dies alles an uns und um uns nicht.

Wenn aber alle diese Gedanken und Gefühle nicht wirklich abhängig von einem Mitmenschen sind, von erlebtem, an mich heran getragenem Ärger, wenn sie nur entflammen, was eh in mir schwelt – warum sehe ich in diesem Menschen denn überhaupt ein Problem, und nicht den Lehrer, der er immer für mich ist?


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[Bildquelle: MERLION by iSTOCKPHOTO]



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