Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Gegen unsere innere Glaubwürdigkeit

∞  15 Oktober 2011, 19:50

Es gibt in unserem Alltag Bewusstseinsfallen der ganz besonderen Art: Damit meine ich Konstellationen, Begebenheiten und Kniffe, mit denen unsere Gesellschaft, also wir alle, einem grundsätzlichen Unbehagen ein Ventil geben, ohne dass wir uns endgültig gegen eine Sache stellen müssten.

Wir scheuen das Verbot, schaffen Schattenlegitimtät und können uns fortan an allen unseren Lösungen reiben, bis es uns wieder einmal so juckt, dass wir die nächste Regel suchen, die befriedigender doch nicht sein sein kann – weil es zu diesen Fragen keine zweideutigen Antworten gibt. Drogen aller Art stellen immer eine Herausforderung dar: Sie erfordern von uns eine Haltung.
Wir wollen dazu auch eine Haltung vergesellschaftlichen, Zuwiderhandlung sanktionieren, ein Regelwerk als Schutz verstehen und suchen dafür Gesetzte und Wertungen, die doch auch noch unter Schlagwörtern wie “persönliche Freiheit”, “Selbstbestimmung” oder “freie Marktwirtschaft” passen. Dass wir dann bei Alkohol, Rauchen oder Marihuana zu so unterschiedlichen “Lösungen” kommen, lässt sich objektiv nicht begründen, höchstens historisch erklären.

Rauchen ist schädlich. Heute ist es sogar tödlich. Das war, natürlich, schon immer so. Aber heute sind wir so weit, dass wir es anerkennen, ja, sogar, dass wir von der Zigarettenindustrie verlangen, dass sie es auf die Packungen der Zigaretten schreibt.

Und so kann man es dann auf jedem Tisch, auf dem Packungen liegen, und auf jedem Plakat lesen:
Rachen ist tödlich. Oder auf franzöisch noch deutlicher: Rauchen tötet.



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Aber den Verkauf verbieten? Natürlich nicht.
Es gibt zwar keine Bereitschaft, das Rauchen zu verbieten – und damit einem Wirtschaftszweig den Garaus zu machen, weil die Drohung, damit Arbeitsplätze zu vernichten, noch immer jedem Politker Angst macht. Und so laufen wir denn an Plakaten vorbei, in denen Produkte angeboten und angepriesen werden, die töten. Unter beiden Aussagen, der Anpreisung wie der Warnung – steht der Name der Zigarettenmarke. So was schafft eine spezielle Glaubwürdigkeit.

Wir verordnen also Deklarationen, mit denen wir uns selbst vor Augen führen, wie schwach, inkonsequent wir sind. Oder wie gleichgültig und unachtsam.

Wie arbeitet man für den Verkauf von Zigaretten? Was fühlt man angesichts der Packung auf dem Tisch in der Hand des Sohnes? Und mit jedem Mal, bei dem man einen trüben Gedanken verscheucht, wird das Bild der eigenen Glaubwürdigkeit nach innen etwas grauer gemacht, nebliger, bis man es eines Tages mit noch so viel Wischen nicht mehr klar bekommt.

Man könnte nun sagen, dass wir einen genialen Weg gefunden haben, uns selbst zu erziehen oder vor Augen zu halten, wie unvernünftig wir sind. Das soll aufrütteln. Und tatsächlich gibt es ja Ergebnisse. Die Zahl der Raucher geht zurück. Ausser bei den Kids, wie ich vor kurzem gelesen habe.
Vielleicht, weil diese tagtäglich vorgeführt bekommen, was die Vor-Haltungen der Erwachsenen taugen?