Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Gefühltes Leben ist geschenktes Leben

∞  13 September 2010, 20:40

Wir fliegen auf den Mond. Oder flogen. Wir entschlüsseln Atome und bauen daraus Bomben. Wir entziffern die menschlichen Gene – oder glauben es zumindest. Hurra, bald bauen wir uns nach. Wir erkennen Naturgesetze. Guck mal, Gott, so hast du uns gebaut. Folglich brauchen wir Dich nicht mehr.

Du bist kein Wunder mehr für uns. Wir haben uns entschlüsselt. Weiter reicht unsere Neugier nicht, könnte man manchmal meinen. Nur, warum nur, können wir damit nicht umgehen? Warum sind wir so verdammt überheblich, zu meinen, es reiche, Lebensbausteine zu entschlüsseln? Wissen wir denn, nach welchen Gesetzen unter welchen Voraussetzungen welches Leben entsteht, entstehen soll? Und wie soll jemand die Welt bauen und hegen und pflegen, der den Tod nicht akzeptieren kann? Darüber lässt sich trefflich diskutieren und sinnieren, derweil wir Kalbfleisch essen. Oder was auch immer. Wir sind noch immer die Ausbeuter der Welt. Der Erde. Der Menschen. Obwohl wir darum wissen, ändern wir unser Verhalten nicht.

Wir jammern vielleicht darüber, im Grossen, wenn wir Zeit für einen Gedanken daran haben. Im Kleinen leben wir mit Ansprüchen. Wir kennen unsere Rechte -und wollen wenigstens einmal einen Sechszylinder fahren.

Wir verstehen so wenig. Wir verstehen uns selbst nicht. Die Psychiatrie ist eine Baustelle, noch viel gröber also in jeder Knochen- oder Organdisziplin. Wir medikamentieren die Psyche, wir stellen sie ein. Wir haben Klapsmühlen und fragen uns alle zwanzig Jahre grundsätzlich, ob es denn Schizophrenie überhaupt gebe? Wir weinen und tränen und schreien und klagen, und fragen dann doch: Gibt es Gefühle überhaupt? Was ist Einbildung, und was, bitte schön, habe ich davon, wenn mir jemand physiologisch biologisch meine Traurigkeit erklärt?

Wir funktionieren, um funktionsfähig zu sein. Wir drehen am Rad. Wir bewahren Haltung, wir kämpfen ums Leben, wir wollen gesund sein und bleiben oder wieder werden. Was uns versprochen werden soll, ist Sorglosigkeit.
Wir bekämpfen den Tod und verpassen doch so viel Leben. Als ob wir es darauf anlegten, am Morgen nicht aufzustehen. Wer will das schon, wenn er nicht todmüde ist?
Eben. Nichts wäre wirklich kostbar, wenn es nicht verloren gehen könnte. Und nichts ist kostbarer als das, was sich nicht festhalten lässt und doch da ist. Das Leben ist wie ein kleiner Papagei, der sich unvermittelt auf Ihre Hand setzt, sie anschaut, und den Kopf prüfend schief legt. Wäre es ihnen da möglich, nicht reines Glück zu fühlen? Jedes Leben kann diesen Moment, dieses Bewusstsein schenken. Womöglich, wenn wir es genau bedenken, an jedem neuen Tag.