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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Fussballer sind auch Menschen - nach der Karriere

∞  15 November 2009, 17:59

Robert Enke konnte noch so viele Bälle halten, seinen Job noch so gut machen: Es hat ihm keine Sicherheit geschenkt, keine Zuversicht beschert. Die Liebe seiner Frau, die Zuneigung von Familien und Freunden, die Achtung der Fans – nichts war ihm Grund genug, seine Not öffentlich zu machen oder sich wenigstens Menschen im Verein anzuvertrauen. So kann man es jetzt überall lesen und hören.
Die Fassungslosigkeit ist zu verstehen, und die vielen ehrlich empfundenen Zeichen der Trauer scheinen erst recht Beweis dafür zu sein, dass gerade dieser bescheidene und freundliche Mensch hätte auf Unterstützung zählen, mit Verständnis rechnen können.

Trainer Schaf apelliert in Bremen an seine Profis, auf einander zu achten. Plötzlich soll der Mut zur Schwäche kultiviert und als mutiger Schritt eigentlicher Stärke gedeutet werden. Enkes Sportdirektor Schmadtke in Hannover ist überzeugt, dass man Enke geholfen hätte, wenn man von den Problemen hätte wissen können.
In allen diesen Statements, in den Erklärungen und Reden an den diversen Trauerfeiern, stets ist echte Betroffenheit zu spüren, aber die Hoffnung des Ministerpräsidenten, dass sich die Gesellschaft nun ändern und das Thema Depression enttabuisiert würde, ist nicht so leicht zu erfüllen. Bleiben wir beim Fussball:

Es werden nun viele Dinge gesagt, für die es im Fall einer konkreten Umsetzung wahrscheinlich keine Instrumente gibt, denn:

Eine Fussballerkarriere ist sehr kurz. Die Spieler verdienen eine Menge Geld, aber sie sind darauf konditioniert, dass dieses Geld innert zehn guter Jahre verdient werden muss. Jede schwerere Verletzung bedeutet einen massiven Einschnitt, mag der Lohn auch versichert sein. Der Vertrag aber dürfte ohne Nachweis der erneuten Leistungsfähigkeit nicht verlängert werden, und für den Verein ist jede Woche Regeneration eine Woche zu viel. Der Konkurrenzkampf findet auch in der Physiotherapie statt. Physische Leistungsfähigkeit lässt sich messen, ein Kreuzbandriss hat eine durchschnittlich ermittelbare Heilungszeit (bei einem Leistungssportler ist diese “dank” täglicher Maximalinvestition im Aufbautraining je länger je wahnwitziger kurz) – aber eine schwere Depression? Sie erlaubt keine Prognosen – und selbst wenn der Fussballer auf den Rasen zurück kehrt: Wer garantiert dessen Gesundung in der Tiefe? Wann kommt der Rückfall? Niemand wird einem solchen Spieler einen ähnlich guten Anschlussvertrag geben oder ihn gar in den eigenen Verein holen. Das wissen die betroffenen Spieler sehr wohl, also werden sie mit der Aussicht, nicht wirklich abgesichert zu sein, versuchen, die Krankheit zu kaschieren. Jede andere Annahme ist Augenwischerei. Die Betroffenheit ist echt – aber sie ist auch so gross, weil gerade Robert Enke’s eigenes Verständnis als Musterprofi dies begünstigte: Er war bereit, bis zum Äussersten möglicher Belastungen zu gehen, um seine Mannschaft nicht zu hemmen, seine Familie zu schützen und sich selbst nicht jener Wurzeln zu berauben, in denen er doch glaubte, irgendwie funktionieren zu können. Robert Enke hat von niemandem etwas erwartet. Das ist erschütternd. Aber etwas anderes war nicht realistisch: Wenn der kranke Sportler oder Berufsmann darauf baut, in seiner Umgebung, in der Identiät der eigenen beruflichen Arbeit bleiben zu können, so kann er sich nicht öffentlich erklären. Nicht als Fussballprofi, und in so mancher beruflichen Stellung im Wirtschaftsleben auch nicht. Tut er es doch, so muss er sich vorher für sich selbst eingestanden haben, dass der bisherige Weg so nicht weiter gegangen werden kann.
Für diese Menschen allerdings bringt das Schicksal der Familie Enke vielleicht wirklich etwas Besserung: Sie können vielleicht eher darauf bauen, dass die Ächtung und das Unverständnis der Umgebung ausbleibt. Depression ist eine schwere Krankheit. Und sie ist – wie die meisten psychischen Vorgänge in uns – äusserst mangelhaft erforscht. Wir haben in jedem Fall keinerlei Grund, beim Auftauchen dieses Befundes in unserem Bekanntenkreis irgendetwas anderes zu versuchen, als Anteilnahme zu zeigen und Bereitschaft, Lasten mit zu tragen. Auch und gerade, weil wir wissen, dass wir mehr nicht vermögen. Dieses Mehr muss aus der professionellen ärztlichen Betreuung heraus und dann aus dem Patienten heraus entstehen. Den Angehörigen und Liebsten aber können wir sehr viel geben, wenn wir um sie wissen und teilen mögen.

Für Fussballprofis in ihrem Kokon, den sie ganz bewusst schon in ganz jungen Jahren akzeptiert haben, bleibt das enorm schwierig, und die Medien wie die Fans werden weiter auf Kosten menschlicher Fehler Schlagzeilen produzieren, die auch einen gesunden Menschen ohne psychische Probleme fragen lassen können: Wer bin ich eigentlich, dass ich mir das gefallen lassen muss?


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Zum Thema: People report that employment can help them recover from depression: