Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Fussballer fürs Herz

∞  20 Juli 2007, 21:22

Wie ich heute in einem Naherholungsgebiet einen langen stillen Spaziergang mache und langsam wieder zur Stadt zurück wandere, fällt mein Blick zwischen den Bäumen am Waldrand auf das sich darunter ausbreitende Grasland, das in eine grosszügige Anlage mit Fussballfeldern ausläuft. Weit tragen die Kinderstimmen. Die Plätze sind fast alle belegt. Etwas abseits steht ein Festzelt, darin und davor sind Langbänke und Tische aufgestellt. Es herrscht eine noch leicht verschlafene, aber friedliche Stimmung. Ganz anders auf den Plätzen: Da geht es hoch her. Knirpse, denen die Säume der Leibchen um die Knie schlabbern, sind genau so eifrig dabei wie Teenager, und nicht wenige Mädchen machen ebenfalls mit.
Der Fussballclub hier ist bekannt für seine Jugendförderung und veranstaltet wohl in den Sommerferien Sichtungscamps für Schüler aller Altersklassen.

Daneben trainiert die Meistermannschaft des FC Zürich und übt letzte taktische Freistossvarianten für den ersten Match der neuen Saison am nächsten Sonntag in Basel gegen den Erzrivalen. Dann ist das Training vorbei, und so mancher zukünftige Superstar holt sich seine Autogramme.

Und alle nehmen sie sich Zeit. Und zwar alle Zeit, die nötig ist, bis auch der letzte Dreikäsehoch seine Unterschriften auf dem Leibchen hat. Selbst der Ersatztorhüter, die Nachwuchsspieler und der Physiotherapeut sind begehrt, und der Masseur Hermann Burgermeister schreibt sowieso seit zwanzig Jahren schon Autogramme. Er ist einfach Kult hier.
Nur ein kleiner Junge schreit sich das Elend aus dem Leib, weil er keinen Stift hat, und sich nicht getraut, einen Kameraden zu fragen. Mutter bleibt hart und fordert ihn auf, seine Scheu zu überwinden, bis ein Spieler kommt, den ich zu meiner Schande nicht kenne, und ihm von woher auch immer einen Stift in die Hand drückt.
Alles ist very relaxed. Hannu Tihinen, finnischer Nationalspieler und Captain, verdribbelt sich gegen eine Hoffnung für 2020 und lässt sich anschliessend auch noch tunneln. Wenn sein Trainer das gesehen hat, sitzt er am Sonntag auf der Ersatzbank… Es sind vielleicht 200 Kinder da, und ein paar versprengte Eltern. Und alle staunen, wie freundlich und ohne jegliche Allüren hier alles abläuft.

Der einzige Kameramann vor Ort (vom Lokalfernsehen) hat längst seine Köfferchen gepackt, als die letzten Spieler den langen Weg über einen öffentlichen Spazierpfad zurück in die Kabinen antreten, die Säcke mit den Trainingsbällen auf den Schultern.

Man stelle sich das alles mal beim jeweils amtierenden deutschen Meister der Bundesliga vor…

Fussball in der Schweiz ist wichtig, aber nicht so bedeutend und präsent wie in Deutschland. Wir lassen uns ja nicht mal von Roger Federer aus der Ruhe bringen. Bei uns muss alles und jeder seinen Platz behalten und in einer gewissen Reihe bleiben. Schumi spielt zuhause im Welschland mit seinen Kumpels Fussball und beisst nachher wie alle anderen in eine Bratwurst, und keiner flippt aus. Achselzuckend denkt der Schweizer, gut, ist da einer normal geblieben, so ist er uns recht, und auf dem WC lässt er die Hosen genau so runter wie ich.

So sind wir und so bleiben wir. Ich fahre zufrieden mit der Strassenbahn, dem Tram, bitteschön, wie wir das nennen, zum Letzigrund-Stadion.

Wie sind wir in Zürich verspottet worden, weil es um das Fussballstadion Hardturm (Bild oben) ein endloses Hickhack gab und die Baubewilligung einfach nicht zu erhalten war… und jetzt entsteht mit dem Letzigrund ein Schmuckstück als Fussball- und Leichtathletik-Stadion.
Ich werde rein gelassen auf die Baustelle, „will nur mal rasch gucken“. Und dann sitze ich da, in den obersten Reihen der Osttribüne, und bleibe kleben. Ich rühre mich mindestens eine geschlagene Stunde lang kaum. Von der Strasse bin ich ebenerdig direkt über den Gehsteig auf die Baustelle gelangt und geradeaus gelaufen, unter einem Dachträger hindurch – und stehe auf der obersten Zuschauerrampe, einem Rundkreisel, der ums Stadion herumführt, und vor mir breitet sich im weiten Rund das Meer der Schalensitze aus. Sie sind praktisch in die Hänge des Aushubrands hinein gebaut. Das Dach scheint eine kleine Welle zu beschreiben, wirkt einmal mächtig und dann wieder leicht, und ist verkleidet mit… Holz.

Es herrscht eine atmosphärisch dichte Konzentration zwischen Arbeit und Andacht über allem: Dutzende von Helmen leuchten, die Männer sind alle in Bewegung, die Zeit drängt. Und doch sieht man da und dort jemanden innehalten und den Blick schweifen lassen. Hoch auf dem Dach hockt ein Arbeiter mit dem Rücken angelehnt an einen Lichtkandelaber und raucht still eine Zigarette. Die ganze Konstruktion wirkt sehr solide, aber überhaupt nicht protzig, und auf der Ebene der Durchgangsstrasse geht der Blick durchs Stadion hindurch – denn es ist oben offen, was ihm zusätzliche Leichtigkeit gibt.
Wenn man im Verkehr um das Stadion herum fährt, wirkt es überhaupt nicht dominierend, weil es eben zu einem guten Stück in die Erde gebaut ist. Dadurch und durch die luftige obere Konstruktion bekommen die Anwohner ein Bijoux vorgesetzt – verdienter Lohn für die hohe Bereitschaft, mit der hier alle für ein sehr schnelles und aussergewöhnliches Projekt mitgezogen haben.

Am 22. September werden die gleichen Fussballer, von denen ich eben erzählt habe, wird der FC Zürich hier zum ersten Mal einlaufen – vor wahrscheinlich 30’000 Zuschauern. Für die Schweiz immer noch aussergewöhnlich. Und sie werden aus ihren Provisorien in bessere Unterkünfte ziehen fürs Training und damit zukünftig über eine Infrastruktur verfügen, die einer Mannschaft zusteht, die auf und neben dem Platz so Freude macht.