Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Für mich. Sein. Können

∞  7 Dezember 2012, 20:00

Wir alle werden bewertet, beurteilt, qualifiziert – und verfahren mit anderen genau so. Wer dabei Druck verspürt, wird sich wünschen, an der Stelle eines anderen zu sein – oder so souverän zu werden, sich diesem Druck zu verweigern. Doch ohne die Massstäbe zu leben, die allgemein angelegt werden und uns doch vermeintlich unseren Wert, unseren Platz geben, ist ein sehr anspruchsvoller Weg mit vielen Hindernissen und dem Umgang mit inneren und äusseren Irritationen.

Wir arbeiten für ein Unternehmen, eine Organisation. Oder wir arbeiten selbständig für unseren Unterhalt und den anderer dazu. Wir arbeiten, um etwas dafür zu erhalten. Kaum je um der Arbeit willen, die Tätigkeit, den Zustand. Es soll wohin führen, ein Ergebnis soll der Lohn sein, eine Stellung auch. Wir suchen nach messbarem Erfolg, nach Vergleichen, nach dem Wert, der gültig ist, anerkannt wird. Und wer dies in Zweifel ziehen kann, weil er ehrlich überzeugt ist, dass ihm seine Arbeit schlicht Spass macht, muss sich mindestens fragen: Und was, wenn es dafür keinen Lohn gäbe? Das eine mit dem andern verknüpfen können, ist das höchste unserer Gefühle. Aber wie frei sind wir wirklich, selbst wenn das gelingt?

Wir sind uns gewohnt, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht mögen, weil wir uns dafür belohnt sehen wollen. Erst arbeiten wir für jemanden und dann machen wir unsere Zufriedenheit von seiner Anerkennung abhängig.

Schon als Kind lernen wir Wohlverhalten, das dann auch belohnt wird, im schlimmeren Fall zumindest nicht bestraft. Wir sind dann brav. Wir funktionieren. Genau so, wie wir es danach als Mann, Frau, Partner, Vater und Mutter tun. Wir wenden an, was uns Anerkennung verspricht. Wir alle tun es. Unbewusst vielleicht, aber genau das haben wir gelernt: Wie komme ich wohlgelitten durchs Leben? Auch angesichts der eigenen Massstäbe, die auch nur angelernt sind.

Packen wir die Dinge anders an, als wir sie gelernt haben, so geht es genau so oft schief: Wir haben kein Sensorium für die Tiefe unserer Fremdbestimmung, die auch im Dienst für andere besteht, in der bewussten Hinwendung zu den Geschicken anderer. Wir pflegen, hegen und sorgen – und entspannen uns vermeintlich dabei, weil wir uns selbst für dieses edle Ziel ausser acht lassen können. Wir können uns ja gefallen in dem allgemein anerkannten Tun, einer Selbstlosigkeit, in der wir in ganz besondere Erwartungen verstrickt werden: Keinem Menschen ist es in der letzten Konsequenz etwas anderes als eine drohende Qual, gebraucht zu werden.

Vielleicht haben Sie das auch schon gehört: Dem Menschen aus der Familie wird in der Krankheit der Ausruf mit ins Spital gegeben – oder gegenüber Begleitern leise formuliert, fordernd oder angstvoll:

Ich hoffe, sie/er weiss um ihre/seine Verantwortung.

Ups. Die kranke Person soll nicht danach fragen, was sie krank macht. Sie soll gesund werden. Und kämpfen. Sie soll zurück kommen und ihren Platz einnehmen. Wir können noch nicht auf sie verzichten. Es ist noch nicht so weit. Es ist nie so weit. Es ist nie Liebe, die uns den Verlust fürchten lässt. Es ist auch viel Selbstzweck dabei, der doch eigentlich ganz was anderes als Liebe ist: Wir instrumentalisieren unser Leben, in dem wir es an anderen und deren Rollenbildern festmachen. Wir sind Mutter, Vater, Sohn, wir freuen und leiden für andere. Aber lernen wir je, an uns selbst zu denken? Damit meine ich nicht die Midlife-Wendungen in mancher Leben, wenn plötzlich die Freiheit beginnen soll und ICH gerufen wird. Ablehnung von Konvention ist noch nicht Hinwendung zu sich selbst. Denn dann wird’s erst recht unangenehm fordernd: Wenn ich mir meinen Wert selbst zusprechen muss. Ohne Zuhörer. Ohne Bestätigung. Nach dem Gewissen der eigenen Seele. Wenn ich nicht brav, folgsam sein soll, aber meinem Wissen folgen – dann muss ich Menschen enttäuschen, besänftigen, mich erklären – bis ich merke, dass mir das gar nicht gelingen kann. Ich kann nur hoffen, dass ich Wanderer finde, die wissen, wovon ich rede, weil sie selbst in dieser Tiefe suchen. Aber dort, wo das Herz den eigenen Stimmungen mit dem Gleichmut einer Ufermauer begegnet, an welcher sich die Wellen brechen, wartet die Gelassenheit, die lassen kann, was über den Moment hinaus geht.

Die schönsten Briefe, die ich je geschrieben und bekommen habe, sind jene, in denen ich nichts weiter an Verlangen spürte, als den Gedanken an den Empfänger dafür zu nutzen, mich mir selbst öffnen zu können. Diese Briefe schicke ich ab ohne die Erwartung einer Antwort. Stattdessen spüre ich eine wunderbare Gewissheit: Der Leser wird damit genau das gleiche versuchen, das ich eben getan habe: Sein Leben leben. Und er wird mir dafür zugehört haben. Wie schön das ist!

Blogwichte von
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Und wie sehr tadle ich mich heute für die kleinlichen Enttäuschungen, wenn bei Hilfeversuchen eine Antwort irgendwann ausblieb. Da gab es nicht nur das Fazit, dass ohne die Aufnahme der Gedankengänge ein gemeinsames Arbeiten an einem Problem nicht möglich sein würde – da war auch ein Stachel verletzter Eitelkeit, benutzt zu werden und sich ausgesaugt zu fühlen, als hätte ein Vampir die Emotion aus meinen Seelensträngen geschlürft und mich leer zurück gelassen. Jedes Gefühl dieser Art beweist, dass ich nicht ohne ein bestimmtes und mir bekannt werdendes Ergebnis sein kann. Wer Hilfe anbietet, will sich eben auch als Helfer fühlen können. So wenig selbstlos das auch ist. Und so sehr es den Zugang zu sich selbst auch vergiftet.

Wer also bei sich selbst bleiben und nicht für andere funktionieren will, geht nicht den leichten Weg. Auch gerade weil er damit seine Umgebung fast immer verstört. Aber genau dann lohnt es sich sehr, solchen Menschen zuzuhören. Wann, ehrlich gesagt, tun wir das je wirklich?