Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Fleischlos ist noch immer hirnlos

∞  11 April 2011, 16:57

Das Zeit-Magazin veranstaltet einen Kochwettbewerb für Pseudovegetarier.


Ich zeige Thinkabouts Wife den eben vom Zeitmagazin ausgeschriebenen Kochwettbewerb 2011:

Kochen Sie fleischlos!

Das wär’ doch was für sie, mit ihrem Fundus und Können.
Sie überfliegt die Seite – und lässt sie im Altpapier verschwinden. Und sie hat, aus der Warte wirklicher Vegetarier recht, denn es ist eine Annäherung an die vegetarische Küche, die auf halbem Weg Halt macht, und man fragt sich, warum?

Es heisst einleitend:

Man muss kein Vegetarier sein, um fleischloses Essen zu geniessen.

Ich hasse die vorschnelle Klassifizierung eigentlich, erst recht in relativ “harmlosem” gesellschaftlichem Umfeld, aber darin liegt eigentlich schon, schön verklausuliert, die Diskriminierung:
Die Typen sind zwar komisch, aber wenn Sie sich auf dieses Wagnis einlassen, werden Sie merken, dass sich auch diese Spezies gern was Gutes gönnt.

Der Wettbewerb wird von Profiköchen und Gastrokritkern wie Wolfram Siebeck begleitet. Irgendwie spiegelt sich darin die maximal mit dem Berufsstolz verträgliche Einstellung: Fleischlos? Von mir aus. Aber ohne Fisch und Meeresfrüchte hat Kochkunst ja gar kein Betätigungsfeld mehr. Was für ein Blödsinn! Und was für eine Wischiwaschihalbherzeinstellung wir bei dem Thema wieder zeigen! Dabei ist das Meer wahrscheinlich der mittlerweile am meisten von Menschen missbrauchte Lebensraum für Tiere überhaupt:
Wir kippen unsere Abfälle hinein oder Containern ihn gleich von speziellen Frachtern aus in die scheinbar alles verzeihende Tiefe. Wir produzieren Ölteppiche und ökologischen Lachs, worauf die Zuchtfarmen überdüngten Meeresboden zurück lassen. Wir fischen den Fisch mit Netzen, welcher Art auch immer, und in der Selektion bleibt jeweils ein minimalster Bruchteil als Ziel des Aufwands für den wirklichen Verzehr bestimmt. Der Rest? Kollateralschaden, im gedachten Überfluss vernachlässigbar. Ein Fisch mit seinen Glubschaugen hat keine Gefühle, empfindet keinen Schmerz. Dabei ist er uns als Wesen einfach fremd. Woher kommt eigentlich der Begriff fleischlos? Ich wäre persönlich nie darauf gekommen, bei einem Fisch nicht von Fleisch zu sprechen. Es ist genau so ein Tier wie der Hase mit dem kuscheligen Pelz.

Wie war das, als man den Fastenfreitag einführte? Auch da gab es traditionell Fisch am Freitag. Oder Biberschwänze, weil die, geschuppt, aussahen wie Fisch, den Flesichmündern aber besser schmeckten – bis die Biber fast ausgestorben waren. Erzählt mir meine Frau. Und dann mokieren wir uns über Asiaten, die auf ihre Haifischflossensuppe nicht verzichten wollen.

Können Sie sich noch an die BSE-Krise erinnern? Die Detailhändler kamen gar nicht mehr nach mit dem Nachschub von “hellem Fleisch” aus China: Poulets und Hähnchenbrüste im Megatonnenbereich wurden eingekarrt, begleitet von vielen gescheiten Artikeln, wie gesund “helles Fleisch” wäre, und “ganz ohne Östrogen”. Auch hier haben wir wieder die Selektion forciert: Wir essen schon lange nicht mehr genügend ganze Hähnchen. Wir bevorzugen die Brust und allenfalls die Keule. Suppenhühner?

Das haben wir ja irgendwie doch hinter uns, möchte man glauben. Aber nicht wirklich. Als Vegetarier müssen Sie in weiten Landstrichen nach wie vor nicht auswärts essen gehen wollen:
Mir wird ganz elend, wenn ich an die Landgasthöfe denke, in denen Köchen heute noch zu “vegetarisch” nichts in den Sinn kommt als aus dem Wasser gezogenes Gemüse an einer Beutelsauce, wenn überhaupt. Und ich finde es traurig, dass wir so viele unserer Ansätze zu einer sicher gut gewollten Verbesserung für die Umwelt nicht zu Ende denken wollen oder können. Beides ist erschreckend.
Wir können einfach nicht vernetzt denken und die Folgen unseres Tuns genügend voraus bedenken. Und immer geht es dabei nicht nur um möglichen Genuss an sich, sondern darum, alles zu behalten und weiter zu geniessen, was man schon kennt. Schnitzel auf Soja- oder Pilzbasis etc. sind dafür “vegetarische” Beispiele. Wir sind erfinderisch, wenn es darum geht, uns Wohlstandssymbole zu erhalten, und wir sind nicht wirklich zu Veränderungen bereit, wenn sie durch unseren Magen gehen. Dabei haben wir in unserer Welt, die doch so global ist, unzählige Möglichkeiten, echte vegetarische Küche in vielfältigsten Variationen zu geniessen – und, glauben Sie meiner Frau, auch dabei höchst kreativ in der Küche werkeln zu können.