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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Europa ist eine Utopie

∞  11 März 2014, 19:45

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Ich lebe mitten in Europa, aber ich glaube, es liegt nicht nur daran, dass ich Schweizer bin, dass ich mich bis heute frage, ob Europa als Gemeinschaft nicht eine Utopie geblieben ist?

Eine von der Politik herbei gezwungene und von Brüssel verbürokratisierte Wirtschaftsgemeinschaft? Oder doch ein Schmelztiegel unserer Jugend, die sich über Nationalitäten längst hinweg gesetzt hat und tatsächlich den freien Studienplatz zur Verständigung unter Europäern nutzt?

Was sehr liegt denn dem durchschnittlichen Franzosen der Ungar am Herzen? Liegt mir der Schwede näher oder der Pole? Und was bedeutet es, dass wir uns immer nur in der ersten Fremdsprache unterhalten können? Sobald jemand von Grenzen spricht, von Nationalität, von Identität durch Staatsbürgertum, wird er angefeindet. Die Ausländerfeindlichkeit ist als Vorwurf nicht weit – und immer wieder dringt dabei durch, dass Europa und die jungen Europäer, will man sie denn nun so nennen, wider das Trauma reden, dass Nationaldenken grausamste Kriege verursacht hat. Und John Lennon fordert uns in “Imagine” auf, uns eine Welt ohne Grenzen und Nationen zu denken.

Aber die Welt richtet sich auch nach dem Butterbrot -und nach dem besonders fetten schaut sie noch mehr aus. Solidarität zwischen Menschen braucht Identität. Ist diese Solidarität nur auf writschaftliche Vorteile ausgerichtet, ist sie extrem verkäuflich. Wird sie politisch zur Konfliktdämmung reklamiert und aufgepfropft, ist sie brüchig – und hat extremes Sprengpotential.

Grenzen sind an sich weder gut noch schlecht. Bin ich wo zu Gast, reklamiere ich wohl keine Rechte, die mir der Gastgeber nicht zubilligt, aber bin ich willkommen, erkenne ich darin auch einen Wert. Dass ich umgekehrt genau so entscheiden kann, ob ich eine Gegeneinladung ausspreche, versteht sich von selbst. Was für uns im privaten Umgang selbstverständlich ist, soll unter Staaten nicht gelten? Aber es ist ja klar: Wenn ich das Recht habe, im Garten des Nachbarn einen Orangenverkaufsstand aufzustellen, wird mich als nächstes stören, wenn er Bananen gratis verschenkt.

Eigenes und Fremdes zu definieren, muss für sich das Fremde doch nicht stigmatisieren. Es drückt nur Vertrautes und Unbekanntes aus. Wie wir damit umgehen, bleibt uns überlassen, fordert uns und belohnt jene, die neugierig sind und den Wert des Polyglotten bejaht haben. Anders zu sein, wird auch nicht per se schwieriger, wenn man in eine andere Kultur gedacht wird. Es ist zuerst mal einfach ehrlicher, der eigenen Zögerlichkeit im Umgang mit dem Fremden Raum zu geben. Und es ist gesund, zumal in einer Welt, die es sich gar nicht mehr leisten kann, nicht Regeln für menschliche Solidarität zu definieren. Aber Gemeinschaften, die sich daraus bilden, müssen wirklich mit den Menschen zu tun haben und mehr Verbindungen kenne und Synapsen erzeugen, als den Waren- und Arbeitsverkehr.

Den Europäer gibt es schon. Als intellektuell begeisternde, in entsprechenden Lebensentwürfen auch umgesetzten Dialog und Austausch unter Künstlern, Wissenschaftlern und Lehrkräften. Der Durchschnittsmensch auf dem europäischen Kontinent aber sieht sich als Angehöriger einer Nationalität in einem ihm bekannten und vertrauten Land, und von diesem “sicheren” Standpunkt aus gestaltet er seine Beziehungen. Vielleicht ist es Zeit, das Fremde nicht wegreden zu wollen, es auch nicht einzuebnen versuchen. Wir haben genug von Kriegen. Aber wenn wir die wirtschaftlich-sozialen Gebilde nicht überladen und gefährlich belasten wollen, dann darf die polische Stossrichtung nicht über das innere Gefühl der Bürger der einzelnen Staaten hiwegbrausen. Neue Fakten zu schaffen, genügt dabei nicht, zumal die “Gestalter” der EU wohl nicht zu Unrecht im Verdacht stehen, spezielle Interessen alles andere als demokratisch in eine Gemengenlage zu bringen, welche ihre ganz speziellen Profiteure kennt…