Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Euro-Kriterien erfüllt? Deutschland Nein, Bulgarien Ja.

∞  19 Juli 2011, 10:01

Würde man heute neu über eine mögliche Euro-Zone befinden und nach Staaten suchen, welche die Maastrichter Kriterien wenigstens bezüglich der Staatsverschuldung erfüllen könnten, man müsste weltweit suchen, um zwanzig Beitrittskandidaten zu finden. Ein wenig Statistik für eine Veranschaulichung der aufgeweichten Stabilitätskriterien, unter denen wir nun alle zu leiden haben.


Einst wurden klare und rigide Bedingungen formuliert, die ein Land, das der Euro-Zone beitreten wollte, zu erfüllen hatte. Sie wurden vor fast 20 Jahren im so genannten Mastrichter Vertrag festgeschrieben. Bekannt daraus sind vor allem die Vorgaben, dass die jährliche Neuverschuldung maximal 3% und die Gesamtverschuldung des Staates höchstens 60% vom Bruttoinlandprodukt (BIP) betragen darf. Weniger bekannt ist, dass als zusätzliches Kriterium die Höhe der duldbaren Inflation festgeschrieben wurde: Sie darf nur 1.5% höher sein, als der Durchschnitt der drei Staaten mit der niedrigsten Teuerungsrate ergibt. Würde man heute – als Gedankenspiel – für eine neue Währungsunion dieses Kriterium anwenden, so würden Bulgarien, Norwegen und die Schweiz den Referenzwert liefern – der bei 1% Teuerung läge. Ein weiteres mögliches Beitrittsland wäre zur Zeit ausgeschlossen. Der Marke von 2.5% am nächsten käme noch Schweden: Mit 2.7% Inflation.

Doch bleiben wir ruhig beim Verschuldungsgrad, und erinnern wir uns, dass diese Kriterien ursprünglich tatsächlich eingefordert wurden – oder zumindest kräftig an den Volkswirtschaftsbilanzen geschraubt wurde, bevor Beitritte erfolgen konnten. Und so sieht es heute aus, würde man eine neue Währungsunion weltweit mit den gleichen Kriterien vorsehen.
Qualifizieren könnten sich:

Australien (Budgetdefizit 2.5% / Gesamtverschuldung 24.1% des BIP)
Bulgarien (2.6 / 19.7)
Chile (0.4 / 10.9)
China (1.6 / 17.1)
Estland (1.0 / 6.3)
Finnland (1.2 / 50.8) Hongkong (4.6 / 4.3)
Indonesien (1.5 / 25.4)
Kasachstan (1.8 / 12.6)
Luxemburg (1.7 / 16.2)
Mexiko (1.8 /42.3)
Nigeria (1.0 / 16.2)
Norwegen (13.0 / 54.3)
Peru (0.5 / 22.5)
Russland (1.6 / 8.5)
Schweden (0.1 / 37.3)
Schweiz (0.3 / 52.7)
Südkorea (2.5 / 28.8)
Thailand (2.6 / 43.7)
Türkei (1.7 / 39.4)
Ukraine (2.8 / 42.6)
(Quelle: vom IWF erfasste 59 Staaten)

Bemerkenswert finde ich, dass die Gesamtverschuldung Deutschlands mittlerweile bei 80% liegt, und die Schweiz zwar bezüglich der aktuellen Budgetdiziplin glänzen kann, dies bei einer Gesamtverschuldung von über 50% auch mehr als angezeigt ist.

Eine Spielerei? Nein. Ganz sicher auf jeden Fall ein Indiz dafür, wie sehr und wie schnell sich die sich selbst gegebenen Regeln aufgeweicht haben – mit dem dazu passenden Faktum, dass es für die Korrektur durch Ausschluss keine, für Disziplinierungen und Verbesserungen höchst unvollständige Regelwerke gibt. Die Euro-Zone hat die Schönwetterzone längst verlassen. Dass dies die Menschen der Euro-Zone schneller direkt zu spüren bekommen, als die Politiker überhaupt über geeignete Korrekturen nachzudenken bereit sind, ist ein direkter Angriff auf die Errungenschaften der Demokratie: Es bedeutet nämlich, dass uns “der Markt” die Entscheidungshoheit entzieht, weil unserer Regierungen nicht Farbe bekennen. Stattdessen wird wohl überlegt, wie man argumentieren kann, warum die damaligen Kriterien für die Euro-Zone einfach falsch waren. Das wäre doch praktisch. Dummerweise beweist die Schuldenkrise das Gegenteil – und der Kurszerfall des Euro ist nur einer der möglichen Fiebermessungen.

Daten und Statistiken aus
Deutschand hätte keine Chance auf den Euro (Welt online)
Gefunden via mycomfor