Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Es ist wieder mal Fussball mit Deutschland - Update

∞  28 Juni 2012, 22:46

Heute abend spielt Deutschland gegen Italien den zweiten Halbfinal an der Fussball-Europameisterschaft, und ich staune einmal mehr über die Emotionen, die das auslöst. Noch immer haben viele Deutsch-Schweizer einen scheinbar implantierten, unausrottbaren Reflex: Fussball bietet nur dann einen befriedigenden Zeitvertreib, wenn Deutschland verliert. Ist das der Kleine-Jungen-Komplex der Deutschschweizer vor dem grossen Nachbarn?

Wenn ich sage, dass ich Deutschland heute Abend den Sieg wünsche, weil ich das Spiel liebe und die Deutschen den attraktivsten Fussball spielen und dafür belohnt werden sollen, dann geben mir eigentlich alle recht. Also, was die Attraktivität des Spiels betrifft. Aber Deutschland soll gewinnen? Die gewinnen doch eh immer. Dann wird wieder der Ausspruch des genervten Gary Linekers zitiert, jenes englischen Stürmers, der gemeint hat:

Fussball wird mit 22 Spieler gespielt, und am Ende gewinnt Deutschland.

Wenn ich dann darauf hinweise, dass Deutschland seit 1996 vergebens einem Titel nachrennt, stutzen die Menschen. Sie werden sich einen Moment lang bewusst, wie absurd diese Animosität doch eigentlich ist.

Also, liebe Freunde der guten Nachbarschaft: Heute abend soll Deutschland gewinnen und ein Stück Lohn einfahren in Form von Anerkennung für einen höchst positiven Fussball, mit dem sie viel Freude machen. Vergesst das Bild von den hässlichen, grätschenden Deutschen, es hat so gar nie existiert, jetzt aber ist es ein offensichtliches Märchen, und ein schlechtes noch dazu. Nicht einmal die Spanier spielen auf den letzten zwanzig Metern zum Tor einen so geradlinigen, freudig-optimistischen Fussball mit regelmässigen Versuchen, den Angriff auch abzuschliessen. Die Italiener konnten mit Catenaccio Weltmeister werden, mit Verhindererfussball die Brasilianer bezwingen – und im Endeffekt hat sich niemand aufgeregt.

Kleiner Schönheitsfehler heute: Die Italiener spielen neben den Deutschen an dieser EM den positivsten, konstruktivsten Fussball. Wirken die Spanier überspielt, gedanklich und körperlich nicht optimal frisch, steckt Trainer Prandelli sein Team mit seinem Spirit und Offensivgeist an. Also ist für heute Abend eines ganz klar: Die beiden besten Botschafter des Fussballs treffen sich heute abend zum vorweggenommenen Endspiel. Wer auch immer gewinnt, soll es auch verdient haben, und für den darf man sich freuen – ohne es in Häme für die Verlierer zu packen. Schluss mit diesm Blödsinn. Und ich sage:
Viel Glück, Deutschland. Es wäre Euch zu gönnen.



Update 22h42:
Mit Italien hat die bessere Mannschaft verdient gewonnen. Der deutsche Versuch, sich mit erneuten Veränderungen in der personellen Besetzung das Gegenmittel gegen Pirlo und Co. zurecht zu legen, ist gescheitert. Italien behielt Ordnung, System und Übersicht – und spielte so offenisv, wie nötig und so konstruktiv wie möglich. Deutschland – eine Fussballnation entwickelt sich von den Siegertypen mit unerschütterlichem Selbstvertrauen zur Nation mit tollem Fussball aber einem sich auswachsenden Trauma, in einem Turnier immer kurz vor Schluss zu scheitern.
Die Mannschaft ist jung. Sie wird daraus lernen. Die letzte Überzeugung aber zurück zu gewinnen, das kann enorm schwer werden.