Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Erinnerungen an die Uni in der Uni

∞  2 Januar 2009, 20:56

Ich wandle auf alten Spuren, erforsche meine Erinnerungen, frische sie auf, korrigiere sie. Ich gehe durch die Gänge und Flure. Warum wirken dicke Mauern immer wirklich dick, obwohl man nicht mehr von ihnen sehen kann als eine Wand?


Die Stimmen hängen in diesen Gängen immer an der Decke, bilden ein fliegendes Gewirr , lappen über die Köpfe hinweg. Du scheinst nie allein, fühlst Dich als Teil einer Geschichte und irgendwie bist Du Brüderchen Narziss mit Deinem scheinbaren Wissen oder dem hehren Willen, es zu mehren oder zumindest etwas davon zu erlangen. Du hast zu allem eine Meinung und zu nichts oder nur zu ganz wenigem eine Lebenserfahrung, und doch ist da eine verkappte Aura, die Dir suggeriert, Teil einer Elite zu sein, die schon vor fünfundzwanzig Jahren nicht wirklich mehr eine war: Studenten.

Die Zeiten des nervig kontrollierten Lernens sind vorbei, die Freiheit ruft. Das Gymnasium, der starre Klassenverband, das war gestern. Jetzt bist Du endgültig erwachsen und kannst tun und lassen, was Du willst. Zwar hat das Grenzen, aber die sind traumhaft weit weg. In den meisten Studien ist (war?) erst mal Zeit, sich einzuleben und der Lust am Lernen nachzuspüren. Und es war nicht so wichtig, wenn sich diese Lust nicht so schnell einfand. Ein Jura-Studium in Zürich war allerdings noch etwas trockener, vermute ich mal, als an anderen Orten, und vor allem noch unpersönlicher… Die Studenten A-K für die Grundvorlesungen in der Aula, L-Z im grössten Hörsaal, inklusive Belegung der Treppenstufen.

Überhaupt, die Aula: Ich habe keine Erinnerung an irgend eine bedeutende Veranstaltung darin, dabei haben Menschen wie Winston Churchill von da vorn oben gesprochen, in früheren Zeiten, wie wir alle wussten. Ich aber erinnere mich an glänzendes Parkett, an ablenkende Ornamente, an eine schlechte Sicht und unmögliche Stühle mit angeschraubten Drehtischchen. Meine Langeweile hatte zwar ihren Ursprung in einer inneren Distanz, aber jeder Spezialist für Pädagogik, Rhetorik oder gar Didaktik hätte in 90% der damaligen Vorlesungen auch nur eines gesehen: Paradebeispiele dafür, wie man eine Vorlesung NICHT durchführen sollte.

Es gab jede Menge schwarze Skripte von Standardvorlesungen, die man sich besorgen konnte, wenn man seine Zeit tagsüber besser zu nutzen glaubte, wenn man sich woanders aufhielt. Das absolute Schmankerl war ein Skript, das einen Witz des Professors erzählte, der dann auch tatsächlich genau an der Stelle vom Betreffenden zum Besten gegeben wurde. Alle Jahre wieder eine programmierte Lockerheit…

Ich robbte mich durch die Zwischenprüfungen, ohne dass mich dabei ein einziger Dozent schon so weit kannte, dass er mich ohne Vorstellung mit meinem Namen hätte ansprechen können. Aber das ging vielen engagierteren Studenten genau so. Wir waren einfach zu viele.

Tempi Passati. Jetzt schaue ich auf den Lichthof hinunter, das Zentrum dieses durchaus faszinierenden Bienenwabengeflechts namens Universität. Ich habe mich darauf eingestellt, mich in diesem Moment furchtbar alt zu fühlen unter so vielen jungen Menschen. Aber so schlimm ist es gar nicht. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass man sofort nach Menschen mit wenigstens ein paar grauen Haaren Ausschau hält, und dabei durchaus fündig wird. Und die Studenten scheinen mir ganz allgemein etwas reifer zu sein, als wir es waren, Verzeihung, als ich es war. Aber das kann auch damit zusammen hängen, dass ich mir selbst bezüglich meiner Studienversuche von damals ziemlich ungnädig gegenüber stehe, als müsste ich heute mit entsprechendem Realismus mein Larifari-Leben von damals kompensieren.

Ich hätte gescheiter ein Jahr ausgesetzt und wäre auf Reisen gegangen. Oder schlicht ganz normal arbeiten. Wie gesagt: Schnee von gestern.

Was mich auch interessierte: Was werde ich in diesen Gängen über ein neues Studium denken? Ich könnte und dürfte jederzeit eines beginnen.

Es bleibt dabei: Niemals mehr. Nicht ohne praktischen Bezug, eine begleitende reale Tätigkeit in genau diesem Wissensgebiet. Studieren – das soll genau das sein, was es meint: Reflexion über tatsächliche Beobachtungen, der Neugierde auch real nachspüren können, learning by doing, Überprüfung von Basisgrundlagen in praktischen Bezügen – und persönliche Anleitung, Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden.

Die “heiligen Hallen” haben in meinem Fall ein ziemlich unfertiges und unzertifiziertes Produkt ausgespuckt (das wäre ja auch ein Hohn gewesen), aber geschadet haben sie mir nicht. Ich habe tatsächlich auch viel gelernt. Nicht unbedingt im Sinn des Vorlesungsplans, aber am Ende doch fürs Leben.

Und ich gehöre nicht nur auf Grund der eigenen Geschichte zu jenen, die selbst Mut zusprechen, wenn da junge Menschen sind, die gar nicht unbedingt studieren wollen – oder nicht so genau wissen, was. Dann sage ich:

Lass es. Oder warte zu. Es rennt Dir nichts weg. Je länger je weniger. Karrieren werden immer weniger auf Jahrzehnte hinaus planbar sein. Nur eines ist genau so wie früher: Das Leben, das ist immer genau Jetzt. Darin liegt auch alles Lernen. Und darin liegt alles, was wir für unsere Zukunft wirklich tun können.


°


Bildquellen: AULA: zfg.uzh.ch
und jetzt kommt das Extra-Schmankerl: Ich mittelalterlicher Kauz lese nach, was zfg denn bedeutet: Das Bild stammt vom Gerontologietag der Uni Zürich 2007…
LICHTHOF: BILD VIA FLICKR - IronEye –





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Studieren - eine Art, neues Wissen zu erlagen, um das alte schon vorhandene Wissen zu vertiefen? Oder gar erst zu entdecken?