Entdeckerfreude wider den intellektuellen Hochmut
Was wir wissen, ist nur der momentane Stand unseres Unwissens. Dazu gehören nicht nur alle jene Dinge, die wir nicht wissen, wovon die Phänomene, die wir nicht deuten können, nur einen kleinen Teil ausmachen. Von den Irrtümern, auf die wir unser vermeintliches Wissen aufbauen, ganz zu schweigen.
Was für die Naturwissenschaften gilt, ist für die Geisteswissenschaften schon fast das Forschungsobjekt an sich. Und es hat auch und vor allem für unser aller Leben seine Wirkung:
Wir haben nie ausgelernt, ja tun uns verflixt schwer, so viele tradierte Muster in uns zu überwinden, also überhaupt dazu zu lernen, um z.B. unser Verhalten zu ändern. Wir sagen: “Ja, ich weiss”, vielleicht sogar unmittelbar, nachdem wir erneut gleich gehandelt haben wie x-mal zuvor. Gleich falsch.
Gemäss unserem Charakter, unserer Persönlichkeit, sind wir dafür nicht auf allen Gebieten gleich anfällig, aber es geschieht. Und es nervt.
Zu glauben, das eigene Leben im Griff zu haben, kann der Anfang einer bösen Überraschung sein – oder gar einer Lebenslüge. Auch die Sinnfrage, die so zentral für den Grad unserer möglichen Zufriedenheit im Leben ist, kann sich wandeln. Wofür bin ich da? Wer bin ich? Was ist mein Sinn, meine Aufgabe, mein Werden? Was fühle und glaube und weiss ich über meine Herkunft und mein Ende?
Ich höre auf, bevor der Schwindel einsetzt. Das Denken könnte nie aufhören. Das Fühlen und Nachspüren sollte nie aufhören. Denn es enthält, verbirgt genau so Wahrheiten – oder kann sie freigeben.
Ich finde, es ist eine gute und Sinn bringende erste und wichtigste freiwillige Aufgabe, mir als erstes vorzunehmen, dass das Ausmass meiner Unwissenheit mich nicht bedrückt, sondern mich neugierig macht auf die Möglichkeiten, die sich mir gerade heute bieten könnten, einen Irrtum zu beseitigen, eine Wahrheit zu vertiefen oder einer neuen nachzuspüren.
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