Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Empört Euch, es passt grad so schön

∞  14 Oktober 2012, 20:32

Man kann vom kommerzialisierten Sport in den USA halten, was man will. Sehr viel Geld wird damit auf jeden Fall gemacht und ist folglich immer mit im Spiel, sprichwörtlich. Interessant ist daher, dass Schiedsrichter als absolute Autoritäten im Spiel behandelt werden. Reklamieren? In mancher Liga ein absolutes No Go. Gerade während des Spiels.

istockphoto.com/koun –
Ist das das
Schiedrichterwesen?

Das ist eine Aussage, die man über den Fussball in Euorpa nie so machen konnte, und das ist nicht besser geworden, im Gegenteil. Es gibt kein Spiel, in dem man nicht einen Spieler beobachten könnte, der mit hochrotem Kopf den Schiedsrichter bedrängen würde – oder zumindest protestierend mit ihm zu diskutieren versuchte. Ein an sich völlig aberwitziges Verhalten und im Zeitalter der Super Slow Motion auch ein Entlarvendes: Kein Outball, bei dem nicht beide Parteien das Recht für den Einwurf für sich reklamieren würden, und kein Spiel, in dem nicht der Spieler nach dem klarsten Foul nicht noch meinen müsste, er könne weismachen, er habe “nur den Ball gespielt”. In jedem Fussballspiel am Fernsehen gibt es mindestens ein Dutzend Szenen, in denen Spieler eigenes Fehlverhalten wider besseres Wissen abstreiten – dem stehen vielleicht zwei Fehlentscheide des Schiedsrichters gegenüber, welche eine gewisse Relevanz für den Spielausgang haben.

Diskutiert aber wird anschliessend nur über den Schiedsrichter. Im Grunde ein katastrophales Verhalten, das uns Allen einen Spiegel vorhält.

Die Begegnung am Freitag zwischen der Schweiz und Norwegen war äusserst intensiv, in der ersten Halbzeit sehr schnell und generell sehr kampfbetont. Entsprechend oft musste der Schiedsrichter eingreifen, und er mag es in strittigen Situationen so getan haben, dass man weiss Gott nicht auf die Idee kommen konnte, er wäre ein Heimschiedsrichter. Das Aufbegehren der Schweizer Spieler würde daran nichts ändern, auch das war klar – es führte auf jeden Fall nicht dazu, dass der Schiedsrichter die Schweizer Sicht eher zu der seinen machte. Am Schluss resultierte ein gerechtes, in der Schlussphase sogar eher glückliches 1:1, das die Schweizer dennoch frustrierte, wiel sie ihre Führung nicht halten konnten.

In der allgemein aufgeladenen Stimmung war Ottmar Hitzfeld zu sehen, wie er eine abschätzige Geste Richtung Spielfeld machte, ein angedeuteter doppelter Stinkefinger, wobei die Hand schnell wieder sank… Ein Bruchteil einer Sekunde unbeherrscht, nicht ganz eindeutig, aber auf jeden Fall abfällig gemeint, und wohl nicht (nur) gegen sich selbst. Frust eben.

Und nun wird über diese Szene in ganz Europa diskutiert und Text verkauft. Hier hat nicht irgendwer die Contenance für einen kleinen Moment verloren, sondern ein “Welt”-Trainer, ein herausragender Vertreter seiner Zunft.

Liebe Leute, ich finde diese ganze Diskussion, ob der Trainer nun zu sperren sei oder die Geste Sanktionen und wann welche zur Folge haben müsse, eine tatsächlich peinliche Stellvertreter-Debatte: Es ist, gemessen an dem, was täglich am Fernsehen in Fussballspielen gezeigt und als “natürlich” kommentiert wird, eine Lappalie. Wir können nicht an dieser Stelle eine Vorbildfunktion reklamieren, und umgekehrt am Samstag auf dem Bolzplatz den gegnerischen Jungen anschreien, weil er vermeintlich gefoult hat – oder womöglich über den Schiedsrichter lästern. Und genau das geschieht in zunehmendem Masse.

Wenn man also Vorbildfunktionen von Trainern in diesem Bereich verlangt, dann muss man fortan Proteste gegen Entscheide auch ganz anders bestrafen. Vielleicht wäre dann der Moment gekommen, im Profi-TV-Sport den Videobeweis einzuführen – und im Gegenzug jedes Reklamieren über Entscheide zu bestrafen.

Aber tatsächlich ist es doch so, dass wir diesen Respekt, also die Autorität einer Person in einer Funktion, verlernt haben. Wäre ja gelacht, wenn ein Lehrer, ein Pfarrer, ein Polizist kraft seines Amtes einen Anspruch auf Respekt hätte. Wir beurteilen heute Menschen in diesen Funktionen ganz anders. In vielen Teilen mag das durchaus zum Guten sein, aber ganz bestimmt nicht darin, ein Spiel mit Regeln zu spielen und diese auch zu respektieren. Und darum geht es nicht nur im Fussball.