Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Einsame Entscheidungen von einsamen Menschen

∞  30 Juli 2013, 21:57

Carsten Schloter ist tot. Der Spitzenmann eines Schweizer Vorzeigeunternehmens mit Zwanzigtausend Mitarbeitern hat keinen Ausweg mehr gesehen, sich womöglich Fragen gestellt, die er sich selbst nicht beantworten konnte, oder nur in einer verurteilenden oder verzagenden Anklage gegen sich selbst.

Ich habe bewusst bisher nicht über dieses Schicksal geschrieben, weil ich nichts so anmassend finde, wie auf Grund von Zeitungsberichten und Hörensagen auf eine innere Not zu schliessen, die zuvor niemand erkannte oder sehen wollte, vielleicht auch nicht konnte.
Wir alle gehen täglich an Menschen achtlos vorbei, die womöglich ähnliche Signale aussenden. Was aber wohl so verstört, womöglich auch fasziniert, ist die Tatsache, dass ein Mensch im Siedemittelpunkt eines pulsierenden Grossunternehmens, der täglich für unzählige Fragen von Mitarbeitern und Geschäftspartnern zugezogen bzw. um die Entscheidung gebeten wird, dass also der Mensch, der womöglich von allen am seltensten allein arbeitet, so allein wie keiner sonst ist.

Chefs machen sich gerne unentbehrlich, denn wenn ihnen das gelingt, ist ihnen Bedeutung gewiss. Dabei gibt es keinen Chef, ohne den es nicht gehen kann. Das wäre auch eine Katastrophe und ein Zeichen, dass das Unternehmen nicht gut, sondern schlecht geführt wird. Ein souveräner Chef schafft Strukturen und Entscheidungsgrundlagen, die das Unternehmen ohne ihn genau so handlungsfähig bleiben lassen wie mit ihm. Ein Chef mit dieser Priorität wird sich auch nicht so schnell erdrücken lassen von der Last der an ihm hängenden Entscheidungen – er hat weniger Mühe, Wissen und Rat beizuziehen, bleibt aber immer auf einem Posten, den andere auch begehren. Das kennt er und ist ihm durch seine ganze eigene Karriere selbst vertraut.

Es ist gar nicht möglich, einen solchen Laden zu schmeissen, ohne je Zweifel zu haben – es sei denn, man hat ein an Grössenwahnsinn grenzendes Selbstvertrauen – und wer möchte von so einer Persönlichkeit durch eine Krise geführt werden?

An dieser Stelle drücke ich die Hoffnung aus, dass all die Chefs, die wir so kennen lernen, also vor allem unsere, ein Zuhause haben. Ein Freundesnetz, das den Menschen beurteilt, nicht den Chef, das feine Antennen dafür besitzt, ob sich der Mann oder die Frau eine Pause wert ist. Immer wieder.

Es sind die Partner zu bewundern, die in Phasen der inneren Verarmung nicht die Koffer packen, sondern den Chef an der Schulter packen, ihn durchschütteln, ihm sagen, dass er nicht mehr bei sich ist und Veränderung braucht, Abstand, Pause, Atemluft. Und dazu gehört vielleicht auch die ultimative Frage:

Entweder ich – oder Dein Immerweiter in der Karriere. Und dann heisst es, die richtige Entscheidung zu treffen.