Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Eine österreichische Form des Widerstands (Austria 1)

∞  5 Mai 2008, 09:27

Die Inzestfälle in Österreich verleiten zu vielen miesen Zeitungsartikeln, und ich finde, so mancher Journalist demaskiert sich damit selbst am meisten. So verdient auch der Artikel von Norbert Mappes-Niediek im “Sonntag” keine besondere Erwähnung (“Warum gerade Österreich?”, Printausgabe), vor allem nicht seines Schlusssatzes wegen, der mehr als zynisch ist. Aber er enthält ein paar Hinweise auf österreichische Besonderheiten, die ich hier gerne aufgreifen möchte.

An den Förmlichkeiten, am Umgang mit einander, den gepflegten Höflichkeitsformen, mag man ablesen, was man will. Ganz offensichtlich ist es so, dass in Österreich sich Formen der Anrede und Titel länger halten als anderswo, so es sie denn in dieser Form wo anders überhaupt gegeben hat. Vielleicht pflegen die Österreicher ja gerade deswegen diese Sitten so hartnäckig, weil sie darin instinktiv die Möglichkeit sehen, sich abzugrenzen, ein Stück Identität zu erhalten. Dennoch würde es mich interessieren, ob es tatsächlich in allen Landesgegenden noch üblich ist, dass der Lehrer der “Herr Professor” und die Kindergärtnerin “die Tante” ist?

Weiter lese ich, dass es keinen Bussgeldkatalog gibt – die Polizei bzw. deren Vertreter büsst nach Situation (?). Entscheiden die Beamten in Österreich daher mehr nach Gefühl als anderswo? Und ist das schlecht? Das Gespräch, das die Schrift, den Erlass ersetzt?
Solche Phänomene lassen auf einen Vertrauensvorschuss für den Staat schliessen, auf eine Obrigkeitsgläubigkeit. Ist das naiv? Sind wir realistischer, dem Leben mit seinen Sachzwängen und Tatsächlichkeiten näher, wenn wir grundsätzlich immer noch weniger Staat fordern, weil, wie uns die SVP beweisen unermüdlich beweisen will, vom Staat nichts Gutes zu erwarten ist?

Ist es nur skurril, oder wäre es vielleicht manchmal gerade eine zu prüfende Strategie, einen voller Kritik geifernden Redner mit höflichen Applaus zu bedenken, aber sich gar nicht erst um eine Antwort zu bemühen: “Ned amol ignorieren”, lautet das Bonmot dazu. Die Höchststrafe wäre das für die echten Brandstifter, und auch eine Form von Widerstand. Man stelle sich mal vor, wie ein Alt-Bundesrat Blocher oder der Monsieur Levrat damit zurecht käme…