Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Eine Laudatio für André Marty

∞  9 November 2009, 18:42

Lieber André Marty

Über die Umstände, die Begründung und die unmittelbaren Reaktionen auf die Verleihung des katholischen Medienpeises 2009 an Deine werte Person verliere ich hier keine weiteren Worte. Das hat Titus augenreibend freundlich, aber absolut zutreffend bereits gemacht und soll gerne dort auch nachgelesen werden.

Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, um Deine Arbeit und Deine Person hier mit diesem offenen Brief zu würdigen. Keine Sorge, es wird nicht peinlich. Persönlich aber schon. Es geht gar nicht anders. Weil Du selbst keine Scheu hast, persönliches Engagement in Deine Arbeit einfliessen zu lassen.

Ich stelle es mir nicht gerade leicht vor, als Korrespondent vor Ort von einem Konflikt zu berichten, der zwar viele Polarisierungen kennt, erbittert geführt wird, aber kaum Bewegung verspricht und für den Erklärungen zu finden, je länger je schwieriger sein dürfte. Kommt dazu, dass wir hier im Westen, und für uns arbeitest Du ja, längst den Glauben an Lösungen verloren haben und wohl oft gar nicht mehr richtig hinhören oder -lesen, wenn aus dem nahen Osten berichtet wird. Auch nicht einfacher wird es, wenn man sich bewusst macht, dass in diesem Spannungsfeld die Meinungen mehr als gemacht sind, und in der Auseinandersetzung die unterchiedlichsten Motivationen aus kulturellem, nationalistischem wie religiösem Antrieb eine Rolle spielen – und reflexartig geäussert werden, bevor das Nachdenken einsetzen könnte.
Da wäre die Versuchung gross, beständig auf eines hinzuweisen: Ambivalenz, Vielschichtigkeit, Komplexität. Die Folge wäre eine Ausgewogenheit, die jeden Bericht bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln und den News-Gehalt minimieren würde, weil keinerlei Akzentuierungen mehr enthalten wären.
Das alles ist bei Dir nicht der Fall. Du leidest menschlich an der vertrakten Situation, unter der Engstirnigkeit der Protagonisten und den Machtspielen der Politik. Und nun kommt das Besondere, das ich bei Dir orte: Du machst daraus kein Hehl, sondern bleibst auch bei der Arbeit Mensch, Familienvater, Mann und Freund der Schwachen und jener, die hinhören wollen und können. Du leidest unter unserer Gleichgültigkeit nicht als Korrespondent, sondern angesichts der Menschen, die vor Ort keine Lobby haben. Du schaffst dabei ständig den Spagat zwischen den Anforderungen an einen Korrespondenten des Schweizer Fernsehens, also einer Fernsehanstalt mit einem öffentlich-medienrechtlichen Auftrag (sevice public), und Deinen Beobachtungen als Mensch und Zeitzeuge. Und statt dass Du dadurch guten Gewissens für die eine Seite zum subjektiven Ignoranten gestempelt werden könntest, wirst Du je länger je glaubwürdiger, indem Du Deine Sympathien nicht willkürlich verteilst, sondern alle und alles an Deinen inneren Überzeugungen misst. Das erfordert sehr viel Chuzpe, Zivilcourage und Berufsethos, denn die Rückendeckung der fernen Kollegen in der Schweiz ist oft nur eine Scheinbare, und ich bin mir sicher, dass Du Dir eine gewisse Freiheit in der Berichterstattung auch intern erstreiten musst. Dass das meist gelingt, ist wiederum ein Verdienst von Dir und Deinem Arbeitgeber.

Damit wärst Du ja bestimmt ausgelastet. Aber was Dir bei mir und vielen Bloggern erst recht Respekt einträgt, ist Dein Interesse an Deinem Berufsstand an sich, am Umgang der Journalisten mit den neuen Medien, und an Deinem Anspruch an Dich selbst, Rückgrat zu beweisen und Infocontent statt Infotainment zu liefern. Als Medienhaus und Verleger käme ich zum Schluss, dass jede Zeile Text, jede Minute Redezeit, die ich Dir in meinem Medium gewähre, gut angelegtes Geld ist, wenn ich Qualitätsjournalismus mit der Fähigkeit zur Selbstprüfung erhalten oder neu zum Blühen bringen will.

In Deiner beruflichen Situation ein Blog zu führen, wie Du das seit längerem machst, ist wie der freiwillige Gang durch ein Tretminenfeld möglicher Fettnäpfchen. Und manchmal trittst Du ganz bewusst auch rein, bzw. riskierst es “einfach”. Bei den Lesern und Hörern macht Dich das glaubwürdig – und ich habe in Deinen Texten, geschrieben aus rein privatem Antrieb eines Journalisten voller Liebe und Überzeugung zu seinem Beruf, mehr über Israel, den nahen Osten und den Gaza-Streifen erfahren als in fünfundzwanzig Jahren Zeitung lesen und Fernsehen.

Dass Du Dir eine Menge Gedanken um die Tätigkeit von Euch Journalisten in der neuen Medienzeit machst und Dich auch nicht scheust, in der Bloggerwelt nach Tipps nachzufragen, dass Du Dich überhaupt gar nicht erst mit den unsinnigen Debatten “Blogger contra Journalisten” aufhältst, sondern einfach zum bloggenden Journalisten geworden bist, sagt sehr viel über Dich und Dein Selbstverständnis aus – beruflich und privat.
Ich bin stolz, Dich kennen und begleiten zu dürfen. Wenn auch meist nur von sehr ferne.

Kurt aka Thinkabout