Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Eine Heirat zwischen vorhandenen und fehlenden Kirchtürmen

∞  6 Dezember 2009, 17:22

Wir sitzen so auf dem Sofa, und schauen uns plötzlich an, mitten in der Diskussion über Minarette und das, was umgekehrt Kirchtürme für uns wirklich bedeuten, und dann ist sie da, die Frage meiner Liebsten:
“Bist du dir eigentlich bewusst, dass…?”
Nein, war ich mir nicht bewusst, und darum soll diese kleine Geschichte hier erzählt werden. Sie passt, wie ich finde, wunderbar, und ich bin ganz erstaunt, wie gut sie das reflektiert, was mich in dieser Diskussion umtreibt, und was eben nicht.

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Wir wollten also heiraten. Und da Thinkabout’s schon damals gerne alles ein wenig planten, war das durchaus sinnvoll, denn wir wollten sehr wohl mit diesem Fest auch eine Botschaft verknüpfen. Also, eigentlich mehrere. Eine, die wir an uns selbst richteten, eine, mit der wir uns als Paar an unsere Freunde wandten – und an jene Verwandten, denen wir uns ähnlich verbunden fühlten – und eine an alle als Ausdruck unseres offenen Glaubensverständnisses.
Daher war uns klar, dass wir ökumenisch heiraten wollten, und von Menschen getraut werden wollten, welche diese Haltung mit uns teilten und sie auch lehrten. Dass der äussere Rahmen dafür mindestens ebenso perfekt passte, ist mir erst heute, mehr als dreiundzwanzig Jahre später, neu und richtig bewusst geworden:

Wir heirateten also ökumenisch: Der Pfarrer der katholischen Gemeinde meiner Liebsten führte die ökumenische Trauungszeremonie durch, eine sehr gute Freundin von uns, die reformierte Pfarrerin geworden war, hielt die Predigt. Wir wurden in einer katholischen Kirche getraut, die keinen Turm und keine Glocke hat. Es ist in dieser Gemeinde üblich, dass die reformierte Kirche nebenan für die katholische ihre Glocken läutet, wenn katholische Gottesdienste, Beerdigungen oder eben Trauungen anstehen.

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Zum Thema passend möchte ich hierzu noch auf eine Web-Seite über die Mahmud-Moschee in Zürich verweisen. Darauf heisst es unter anderem:

Am 15. August 1962 legte Nawab Amatul Hafiz Begum, die Tochter des Gründers der Bewegung,den Grundstein zur fünften Ahmadiyya-Moschee in Europa.
[…]
die evangelische Kirchgemeinde Balgrist stellt jeden Freitag Parkplätze für das Freitagsgebet in der Moschee bereit, für grössere Veranstaltungen der muslimischen Gemeinde mitunter sogar die Räumlichkeiten der Kirche. Der Imam führt die Moschee als offenes Haus. Zahlreiche Schulen, Bewohner, Politiker und verschiedene Organisationen aus dem Quartier und dem Raum Zürich seien dieser Einladung schon gefolgt, berichtet er.



Ich führe diese wunderschönen Beispiele der Toleranz hier nicht auf, um sie in die politische Diskussion zu werfen. Ich verstehe sie weder als Pro noch als Contra gegen ein Minarettverbot im heutigen Zeitpunkt. Ich nenne sie, weil sie den Weg beschreiben, den wir gehen sollten: Erfahrungen sammeln, Ängste abbauen, Toleranz nicht nur gewähren, sondern leben, erleben – bis eines Tages der Fall des Verbots schlicht noch der Ausdruck einer Integrationsleistung ist, über die wir uns alle freuen können.