Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Eine Art fundamentale Frustration

∞  5 August 2012, 14:26

Ich gehörte und gehöre zu den Menschen, die sich politisch “irgendwo knapp rechts der Mitte” einordnen würden, und entsprechend war für mich die Entwicklung der Politsysteme durchaus folgerichtig. Auch ich habe mich über das Ende des kalten Krieges gefreut und gestaunt über den schnellen Zusammenbruch der Mauer und der Sowjetunion. Mehr Demokratie und vor allem mehr Freiheit für alle, auch Reisefreiheit, begleitet vom Projekt einer Europäischen Union, das ich in seiner Grundmotivation immer verstand, auch als Ausdruck der Völkerverständigung.

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Was wir aber aus diesen Vorteilen gemacht haben, ist, deutlich gesagt, eine Katastrophe. Wir haben aus der Welt einen einzigen grossen Markt gemacht und einen Wettbewerb zugelassen, der am Ende sämtliche Regularien negiert und in dem danach gestrebt wird, als wirklich stärkste Macht dann die eigenen Regeln einzuführen. Die Völker sehen sich zunehmend schwerer atmen, nur ist der Würgegriff heute ein anderer.

Der Übermacht eines Systems folgt sein Untergang, weil Hochmut und Gier keine Bewahrer von Vorteilen sind. Wir sind ganz offensichtlich nicht dafür geschaffen, in allen Systemen nicht, in Zeiten des Überflusses dafür zu sorgen, dass sich die Bedingungen dauerhaft für alle verbessern. Wir gleichen Architekten und Bauführern, welche bestehenden Gebäuden ein weiteres Stockwerk aufpfropfen, ohne dass wir eine einzige Kelle Beton dafür verschwenden würden, gleichzeitig das Fundament zu festigen. Und wir brauchen immer mehr Wachstum, weil wir weder in knappen noch in fetten Zeiten für die Reduzierung unserer Verbindlichkeiten einen Sinn bewahrt haben. Wir machen weiter Schulden – und basteln uns für den Umgang mit diesen Schulden immer wieder neue Regeln.

Immer wieder wird vermeintlichen Partnern eröffnet: So, wie wir das abgemacht haben, läuft das nun nicht (mehr). Oder wir schauen uns an, verblüfft, dass das Märchen nicht weiter geht und wir keine Regularien für Fehlleistungen haben. Wir verdienen am gemeinsamen Markt, aber wir sind nicht für sein Schleudern verantwortlich.

Es ist erstaunlich, wie gering die sozialen Unruhen noch sind. Aber das wird sich ändern. Beispiel Israel: Auch hier gehen die Menschen auf die Strasse, weil es für immer mehr Leute nicht mehr für alles reicht. Für alles Notwendige, bisher Selbstverständliche. Und die Politiker sparen nicht nach der Vernunft – sie streichen die Budgets dort zusammen, wo die Menschen hinter den Ausgabenposten keine Lobby im Rücken haben. Wir unterscheiden plötzlich wieder zwischen den Habenden und den Habenichtsen, reden von Reichen und Armen, von Du da und ich hier.

Wir haben so viele Chancen und Möglichkeiten verpasst. Viele Einzelne haben profitiert – dem Gemeinschaftssinn war davon zu Vieles abräglich, und die Politik hat rein gar nichts dafür getan, das zu verhindern. Allerdings müssen wir alle uns sagen lassen, dass eine Gesellschaft in einer “Demokratie”, zumindest nach unserer immer wieder nach aussen getragenen Überzeugung, die Politik bekommt die sie wählt…

Nun sieht sich Europa in einer Situation, in dem es sich Demokratie womöglich nicht mehr leisten kann, weil es Entscheidungen braucht, die auch durchgesetzt werden. Dass es auch die richtigen sein werden, vermag niemand in dem Zeitpunkt zu sagen, in dem sie fallen. Weil kaum mehr jemand die Mechanismen und deren Auswirkungen voraussehen und die Probleme durchschauen kann. In jedem Fall werden die Folgen auch nicht in einer Wahlperiode sichtbar sein – und weiter würde der Verstand auch nicht reichen wollen, wenn wir ihn denn besässen…

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Für Besinnung allerdings ist immer Zeit. Und für die Gestaltung des eigenen Mikrokosmos auch. Er begegnet uns täglich, wartet auf unseren nächsten Schritt, das Wort, die Geste, die freundschaftliche Regung. Wir brauchen einander. Sehr.