Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Totschlag, der den Staat nicht interessiert

∞  21 Juni 2012, 14:38

Der Artikel ist nur kurz, wie es eben in Online-Publikationen immer häufiger der Fall ist. Man kann sich dann fragen, was das soll, wenn man das Thema Selbstjustiz – oder Selbstverteidigung, die Grenzen mögen fliessend sein, so anreisst, dass es für den Titel reicht und ein paar “Fakten”, mehr nicht. Eben genau so, dass man kurz aufstösst, und sich vor allem eines gönnt: Bestätigung dessen, was man schon immer wusste:

Die in Texas spinnen – oder aber: Die haben es eben gerade voll drauf.

Ein junger Vater hört seine Tochter in der Scheune schreien und eilt ihr zu Hilfe. Er überrascht einen Latino, der sich an ihr vergehen will und schlägt ihn tot.

Nach zwei Wochen erklärt die Staatsanwältin, dass der Staat Texas gegen den Mann kein Verfahren eröffnen wird, da in Texas “der Einsatz von tödlicher Gewalt «erlaubt und gerechtfertigt» sei, um Sexualverbrechen zu stoppen.

Ich möchte provozierend fragen, ob das genau so schnell so klar geschehen wäre und die Zeugenaussagen direkt Beteiligter ebenso ausgereicht hätten, wenn ein Latino-Vater einen weissen Vergewaltiger erschlagen hätte? Aber eigentlich ist das nicht das Thema, sondern was wirklich aufwühlt, ist die Tatsache, dass das Mädchen in seiner Schutzlosigkeit im eigentlich tieferen Sinn gar nicht im Artikel vorkommt:

Was geschieht nun mit ihr? Wie geht sie mit dem Angriff auf sie selbst und dem Totschlag vor Ihren Augen um? Wie ehrlich meinen wir den Schutz der Kinder eigentlich wirklich? Sind wir uns bewusst, dass all unsere Martialität im Umgang mit Unholden eigentlich auch nur eine Art Hilfeschrei ist?

O Gott, mir ist ganz klar: Würde einem Kind eines Freundes etwas angetan – oder gar meiner Frau, ich könnte mich wohl auch nicht zurück halten. Das war auch der Grund, dass ich den Militärdienst nicht verweigerte. Ich weiss, ich würde die physisch extreme Bedrohung meiner Nächsten nicht hinnehmen – und mit mindestens so viel Brutalität beantworten. Schon aus blosser Verzweiflung, Panik und der Wut heraus, nicht früher dazu gestossen, nicht das alles verhindert zu haben. Ich will mich, in eine solche Situation hypotehtisch hinein versetzt, nicht zum Opfer machen. Ich frage mich vielmehr: Was wäre für mich gewonnen, entfiele eine Anklage, ja würde auf gar auf jede vertiefte Untersuchung verzichtet?

Ich glaube, wenig bis nichts. Ich wäre, gerade in einer Gesellschaft, die unter Umständen annimmt, mit der Gutheissung meiner Handlung meine Not zu lindern, mit meiner Tochter ab sofort sehr allein. Solche Dinge kann man nicht totschweigen, nicht wegbejahen. Sie nagen – ob gebilligt oder bestraft – das ganze Leben am Selbstwertgefühl. Und die Gesellschaft, die sich am Grat zur Selbstjustiz entlang hangelt, wird früher oder später in selbstzerstörierischer Wut in innerer Gewalt auseinander brechen.

Ich glaube, dass unser hiesiges Strafrecht, das mit Amtsschimmel und Verfahrenstreue die Abklärung und Begleichung aller weiterhin unbeholfen klingenden Schuldfragen anstrebt, unter dem Strich die besseren Möglichkeiten bietet, mit dieser Sackgasse irgendwie umzugehen – und wenn doch keine Tür ins normale Leben, so doch ein Fenster zu schaffen, an dem man frei atmen kann. Der gleiche Mensch wird man – als Opfer wie als Beschützer – nie mehr sein.

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