Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Teil sein, und darin ganz werden

∞  7 September 2010, 22:27

Was bringt die Zukunft? Junge Menschen stellen diese Frage wohl viel weniger, als ältere, und wenn sie es tun, dann liegt darin eine Spur Enthusiasmus. Weltentdeckertum. Und wenn dem nicht so ist, wenn sich die Augen Jugendlicher beim Blick voraus verschatten, dann ist das nicht gut, sondern ein untrügliches Zeichen, dass eine ganze Gesellschaft ein Problem hat.

Aber wie ist das bei älteren Menschen? Wie halte ich es selbst, wenn der Blick voraus ganz natürlich in jeder Art Ermessen kürzer wird als das, was gewesen ist? Jeder ältere Mensch hat schon einige Abschiede hinter sich, sein Leben ist voller Brüche, und so oft empfängt ihn bei seinem Tun die Mahnung, es ruhiger anzugehen.

Wie manche Menschen unter uns werden von dieser Ruhe, der aufgezwungenen Stille, der Einsamkeit und der emotionalen Verkrustung und Verhärmung regelrecht erdrückt, eingeschnürt, abgespalten vom “Leben da draussen”? Wenn es unser Schicksal ist, erst gebrechlich und danach nichts zu werden, zu zerfallen, auszuscheiden, Abschied zu nehmen – für was ist denn das alles davor gut gewesen?

Ich glaube, dass alle diese Prozesse, die unbeschwerte Jugend, die Blüte, die Reife und der Herbst in jedem Leben zu einem Ganzen gehören, und dass es unser Sinn ist, uns genau als das zu begreifen: Als einen Teil. Wer Teil eines Ganzen ist, hat einen Sinn. Er ist ohne andere Teile nicht denkbar, und sie nicht ohne ihn. Im Werden wie im Vergehen können wir ein Gefühl, einen Frieden finden, der im Beobachten dieser Wahrheiten liegt:
Wir bestimmen unsere Lebenszeit nicht, wir wissen nicht, wie wir vergehen, aber wir wissen, dass wir es in uns tragen. Genau wie unser Entstehen. Mit was auch immer wir uns in unserem Leben an Sorgen und Problemen gerade herum schlagen: Wir werden dabei immer wieder auch an andere Menschen denken, die ähnliche Situationen gemeistert haben – oder in Würde daran gescheitert sind. Es sind dies genau so Teile für uns, wie wir es für andere sind: Teile und Hilfen, Leitsterne und Helfer im beständigen Versuch, das Leben anzunehmen – auch in seiner Endlichkeit. Wenn wir dem Leben seine Zeit geben, die Zeit nicht vergeuden, weil wir doch eine andere Zeit möchten, oder mehr davon, wenn uns das alles viel zu schade ist, weil wir wissen, dass wir nur diese eine Zeit haben, dann ist diese Ruhe, die da kommt, keine Drohung mehr. Sie grollt nicht jeden Tag aus der Tiefe, sie birgt auch ein Geheimnis des Friedens.
Wir können, ganz egal, wie viel Zeit uns bleibt, unseren Augenblick immer nur so gestalten, wie unsere Welt nach unserer Vorstellung auszusehen hat. Und wir sind nach unseren eigenen Massstäben zufrieden – oder eben nicht.

Heute hat mir jemand ein wunderschönes Beispiel dafür geliefert, und ich erzähle es besonders gern, weil es nur schon deswegen gleichnishaft ist, weil es augenscheinlich schon vom Thema her lächerlich nebensächlich scheint. Dabei sollte man nicht stehen bleiben. Denn tatsächlich sind die Nebensächlichkeiten unserer freien Tage, der Moment, in dem wir einen Ball schlagen wollen oder ein Ziel zu treffen versuchen, sehr wichtig, weil sie das Spiegellabyrinth bilden, in dem wir gefangen sind – oder den Seespiegel, an dem wir ruhen: Mein Kollege erzählt mir also, wie es ihm geht, wenn er einen Put beim Golfen verpasst: 50 lächerliche Zentimeter. Der Ball rollt vorbei und sieben Meter weiter weg, der Neigung des Greens folgend. Peinlich. Ärgerlich. Zum Haare ausraufen und den Schläger zerbrechen. Er aber macht nichts dergleichen. Er lacht. Wenn ihn die anderen entgeistert fragen, was er da zu lachen habe, antwortet er:
Was soll ich mich aufregen? Es ist geschehen. Beim Golf. Das ist Freizeit. Vergnügen. Ein schöner Tag, Entspannung, geübte Konzentration, Fertigkeit. Das geht manchmal schief. Genau genommen geht es häufiger schief als gut. Das ist aber genau der Sinn der Sache. Es immer besser machen zu können, ohne sich über den Stand der Unfähigkeit zu ärgern. Und überhaupt: Ärgern? Das hiesse ja, ich müsste über mich selbst fluchen, denn niemand anders hat den Ball vorbei geschoben. Stattdessen spiele ich den Ball aus sieben Metern. Eine neue Situation. Eine neue Herausforderung. Was geschehen ist, das ist vorbei. Genau so ist das Leben.

Und darum möchte ich meinen Sport auch ein wenig so verstehen können: Den Punkt machen ist schön. Den Ball richtig treffen schöner. Einen wunderbar fliessenden Schwung hinkriegen. Einmal im Leben. Und dann noch einmal. Und mich dabei meinem Körper nähern, ein Gefühl dafür bekommen, was seine natürliche Bewegung wäre – ihn womöglich die Bewegung einfach machen lassen, ohne grosses Nachdenken – schon gar nicht mit der Angst, dass ich den Ball verschlagen kann. Ihn einfach spielen.
Komisch, dass wir an diesen Punkt gelangt sind? Ich weiss nicht. Heisst Leben nicht ganz allgemein, in den eigenen Schuhen stehen zu können? Im Körper zu wohnen und einen klaren Geist zu bekommen?