Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Tastendruck bei Facebook

∞  3 November 2012, 18:58

Mit dem Ziel, über meinen bis dato sehr toten Facebook-Account die Möglichkeiten zu erkunden, um einzelne Webseiten bekannter zu machen, habe ich mich also wieder mal an dieses Social-Media-Ungetüm heran gewagt. Das Ergebnis war eine nicht ganz freiwillig aber selbst verschuldete Springflut.

istockphoto.com/koun

Es gibt in Facebook die hilfreiche, aber aus Sicht der Jünger von Mark Zuckerberg nicht ganz selbstlosen Angebote, dem Facebook-Mitglied beim Finden von Freunden und Kontakten zu helfen. Am besten geht das über Adressbücher bestehender eigener Mail-Accounts. Also habe ich ein solches Verzeichnis ausgewählt, worauf mir Facebook auch postwendend eine lange Liste von Personen aus meinem Adressbuch anzeigte, die ein Facebook-Konto haben, mit der Gelegenheit, bei jeder Person per Click vorab zu bestimmen, wer auch tatsächlich eine “Freundschaftsanfrage” von mir bekommen soll. Praktisch, denn von einigen weiss ich, dass sie der ganzen Kiste kritisch gegenüber stehen und nicht mit entsprechenden Anfragen belästigt werden wollen.

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Mit dieser Detailpflege bin ich ein ganzes Weilchen beschäftigt, denn mein gewähltes Adressbuch ist nicht winzig und Facebook ja auch nicht – ensprechend sind doch einige meiner Kontakte auch potentielle virutelle Facebook-“Freunde”. Das führt am Schluss dazu, dass ich, erlöst von der Konzentration, die gepflegten Daten auch absende – und dabei nicht bedenke, dass Facebook die Anfrage damit auch allen sendet, die gar kein Facebook-Konto haben und in meinem Adressbuch stehen. Geschickt gemacht von Facebook, dumm weil mangelhaft überlegt von mir und unkonzentriert abgeschlossen. Der unbedachte Klick meinerseits beschert Facebook hunderte von Werbemails, in denen meine Kontakte über mein FB-Account informiert und eingeladen werden, doch auch gleich im Netzwerk mitzumachen. Sch…

Aber dann geht’s los. Keine drei Sekunden nach der Auslösung der Anfragen habe ich die erste Freundesbestätigung eines Facebookmitglieds. Und nach zwei Tagen bilanziere ich mal wie folgt:

Ich habe mit einem Freund, mit dem ich mich sonst höchstens mal in SMS ein wenig humorig austausche, einen Feierabendschwatz über Facebook geführt und weiss nun, dass er mit einer guten Bekannten ein Web-Projekt verfolgt und welche Musik er mag.

Ein anderer Kontakt aus früheren Internet-Zeiten, der uns in der Zwischenzeit völlig verloren ging, lebt wieder auf, und

Ganz allgemein staune ich, welche Menschen mit Facebook etwas anfangen können, und welche gar nicht. Diese Trennlinie verläuft überhaupt nicht so, wie ich das erwartet hätte, was deutlich macht, dass Facebook quer durch alle Schichten Netz-Aufmerksamkeit weckt und aber auch bindet, die dann z.B. für Blogs fehlt.

Freunde schreiben mir, bestätigen mir, dass sie mit Facebook nichts anfangen können, benutzen die Gelegenheit aber, um mir von sich zu erzählen und nach mir zu fragen

Und ein Geschäftspartner, der auf Grund seiner Vorgesetztenfunktion eigentlich über operative Projekte mit uns mehr über seine Angestellten informiert wird als dass er direkt involviert wäre, nimmt meine “rausgeflutschte Anfrage” zum Anlass, sich bei mir nach meinem Befinden zu erkundigen. Daraus wird ein kurzer Mailaustausch und eine Verabredung zum Mittagessen im Januar.

Ich kann gar nicht alles aufzählen… Diejenigen, die mein “Missgeschick” verärgert hat, kann ich diesen Erfahrungen nicht gegenüber stellen, weil sie mir ihren Ärger nicht mitteilen – und sich Ähnliches wahrscheinlich schon gewohnt sind – aber es lässt sich schon feststellen, dass die Dynamik, welche Facebook erzeugen kann, auch im Guten erstaunlich ist. Wenn also Facebook dazu gut wäre, uns in unserer Neigung zum kontaktscheuen Phlegma ein bisschen anzustupsen, liegt – wie in jeder Kommunikationsmöglichkeit – viel positives Potential darin. Das Portal ist gratis, Geld muss mit Werbung verdient werden – dass dies auch mit dem Potential der Mitgliedsdaten versucht wird und manches im Graubereich abläuft, muss man trotzdem nicht gutheissen, im Gegenteil. Nur ist auch klar, dass Facebook da nicht der alleinige Sünder ist. Ich denke da an die Ankündigungen der Kreditkartenfirmen, Kundendaten zu Werbezwecken weiter geben zu wollen.

Die Entscheidung, ob wir deswegen auf diese Serviceleistungen verzichten wollen, muss jeder Einzelne selber treffen, und es ist gut so, wenn er sie auch tatsächlich treffen kann. Gläsern werden wir in jedem Fall von Jahr zu Jahr mehr – die Fülle an Daten, die wir nur schon über Handysignale abgeben, über Zutritt-Systeme in öffentlichen Gebäuden und bald über Fahrkarten-Chips in Zügen und Büssen – lässt sich kaum eindämmen. Automatisation, Abwicklung der Vorgänge in immer kürzeren Zeiten – das ist das Optimierungspotential unserer digital technisierten Welt: Dabei werden in tausenden von Bereichen Daten gespeichert, weil Automatisation Wiederholung bedeutet und damit dort um so mehr bringt, wo neue Abläufe nach bewährtem Schema eingespeist werden und Daten nicht mehr neu erfasst werden müssen. Die Cookies, die wir von Internet-Seiten kennen – sie werden in unserem ganzen Leben immer häufiger angebracht.

Da hat ein spontan entstehender Austausch auf Facebook doch schon fast wieder etwas Tröstliches – denn in diesem Austausch beleben sich zwei Menschen mit Geist und Herz. Fast so, als wenn es Leben wäre.