Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Tagebuch, das nie zwischen Buchdeckel wollte

∞  2 April 2010, 22:01

In meinem Text über die Tagebücher kam mehrfach zum Ausdruck, dass Autoren nicht nur Schwierigkeiten haben, den Inhalt dessen, was sie einem Tagebuch anvertrauen könnten, zu bestimmen, sondern auch, dass sie nach der Form dieses Schreibens suchen, das dann eben keine literarische sei. Was wohltuend sein könnte, ist gleichzeitig doch ein Problem, denn “man” könnte es ja doch mal zu lesen bekommen. Wirklich für das Vergessen, bzw. für nichts anderes als die eigene Auseinandersetzung Bestimmtes, wird scheinbar nicht mehr geschrieben, ist man mal Autor, zumindest.
Um so brisanter fällt ins Gewicht, was ein Autor über sein Tagebuch sagt, der zwei davon schon veröffentlicht sah und nicht zuletzt wegen ihnen weltweit bekannt wurde. Und Max Frisch hat weiter Tagebuch geschrieben. Doch genau so, wie er sein letztes Werk Blaubart lieber nie veröffentlicht hätte, so hielt er es auch mit seinen Tagebuch-Aufzeichnungen seines Lebensabends. Es gibt mehr als eine klare Äusserung von ihm, dass er dieses letzte Tagebuch nicht veröffentlicht sehen wollte. Seine Freunde Adolf Muschg und Peter Bichsel im Stiftungsrat des Nachlasses sahen das klar – und sind die längste Zeit im Stiftungsrat gewesen. Für den Verlag allerdings, ist es ein wichtiges Zeugnis für die Abrundung des Werks eines bedeutenden Literaten. Und wird, natürlich nur deshalb, veröffentlicht.
Soll man als Leser, wenn man nun, wie ich, glaubt, dass Max Frisch diese Veröffentlichung nie wollte, das Tagebuch nicht lesen? Nun, ich liebe diesen Autor, gerade in seiner unfertigen und unzufriedenen bis bitteren AltersUnMilde finde ich ihn widerspenstig schwierig liebenswert und dabei immer auch noch so komplex, dass er mich nicht schreckt, aber fasziniert. Das Buch aber werde ich nicht kaufen. Irgendwie fühle ich mich dem Schöpfer von Stiller und Andorra zu nahe, als dass ich seinen Willen ganz ignorieren wollte. Das Wörtchen “ganz” deshalb, weil ich nicht anders konnte, als in der Zeit die Texte zur Veröffentlichung zu lesen – und im Zeit-Literaturmagazin vom März 2010 die Auszüge, angelockt von einem doppelseitigen Bild von Max Frisch in seiner Zürcher Wohnung. Max Frisch, der alte Frisch, lachend. Selten genug. Und für mich besonders wie immer.
Ist man einmal Schriftsteller und wird man dabei auch bekannt, so wird man öffentlich. Nicht, dass die Welt mehr vom Schriftsteller erfahren würde, als er selber weiss oder ihn gar besser verstehen würde. Dafür gibt es keine Garantien und vielleicht auch keine Absichten, mögen sie noch so redlich erscheinen. Wir alle wollen in allem, was wir lesen, ja eigentlich, wenn schon, uns selbst besser verstehen. Und so mancher leidenschafltiche Kritiker dürfte bei einem “alten” Autor neues Material nur noch darauf untersuchen, was es denn enthält, das ihn in seiner Meinung bestätigt.

Für mich ist Frisch ein Satzsteller. Meisterhaft finde ich an ihm, wie er Sätze bauen kann, wie ein Maurer, der Mut zu Zwischenräumen hat, die man doch nur in eine Richtung mit Gedanken füllen kann. Ich mag es nicht besser erklären. Aber ich finde, Frisch blickt immer hinter sich. Und damit auch hinter mich.
Am Ende einer Beziehung:

Natürlich wollen wir Freunde bleiben, ja, das ist klar…
Ein schöner Tag:
Die Pyramiden von Teotihuacán – Unsere Freundschaft hat schon begonnen._

Sein distanzierter Blick auf seine Alters-Gegenwärtigkeit:

Wonach drängt es mich?
Ich bin schon noch tätig –
Wäre ich ein Bauer, würde man mir kaum noch die Sense in die Hand geben, die Sichel vielleicht; es würde kaum erwartet, dass ich auf die Leiter steige, um Äpfel zu pflücken; ob man mich auf den Traktor lassen würde, frage ich mich; man fände es richtig, dass ich die Hühner füttere, die Enten usw. Was erwartet man von einem Schriftsteller? Dass er Interviews gibt.

Im Flugzeug, mit Ironie, nicht Bitterkeit, mit unverminderter Beobachtungsgabe für die eigenen Widersprüchlichkeiten, im Flugzeug:

das neue Buch eines Kollegen nehme ich nicht aus meiner Mappe, ich komme nicht dazu und weiss Stunden lang nicht, was tun, bis früher oder später (meistens über Labrador) eine Hostess kommt, die sich ein Autogramm von Friedrich Dürrenmatt wünscht.

Und politisch ist er geblieben. Da wo die Nachfolgegeneration sich in den Schreibstuben heute totschweigt, bilanzierte Frisch schon vor dreißig Jahren:

Der Stärkere ist eben stärker, das ist die Natur des Menschen, Darwin hat recht, und je weniger Staat, umso natürlicher der Mensch, umso freier ist der Stärkere.

Wenn man denn bedenken möge,dass Tagebuchnotizen noch mehr als andere Texte vor einer allfälligen Veröffentlichung einer literarischen Aufarbeitung bedürfen, so wird es noch haarsträubender, dass es ein Verlag wagt, entgegen dem Willen eines Autors solches Material zwischen Buchdeckel zu pressen. Suhrkamp hat es getan, und das Dilemma im Titel zum Ausdruck gebracht:

Max Frisch
Entwürfe zu einem dritten Tagebuch.

Meine Herren (und auch die Damen) bei Suhrkamp: Es hat nie Entwürfe zu einer Veröffentlichung gegeben, wie sie hier suggeriert werden. Aber wahrscheinlich ist diese Intention, die Sie sich heraus nehmen, in Zeiten, in denen Plagiate nicht mal Zitate sein müssen, um veröffentlicht zu bleiben und weiter verkauft zu werden, geradewegs zu verharmlosen.
Ich kann es nicht. Ich finde es Geschmäcklerisch. Beschädigen wird es die Bedeutung von Max Frisch nicht. Geld wird eh damit gemacht. Das ist so klar wie wenig sonst. So gesehen leben wir in glasklaren Zeiten.