Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Sportler mit Zivilcourage als Provokation für Funktionäre?

∞  13 März 2011, 21:42

Der beste Abahrer der Welt zeigt Courage auch neben der Skipiste. Und Hirn. Das ist zuviel und muss bestraft werden. Kann das wirklich sein?


Didier Cuche ist wohl der beste Speedfahrer unter allen Alpinen der Gegenwart. Und er ist mit Bestimmtheit auch der beste Springer im Feld der Abfahrer. Die Art, wie er dieses Jahr die Abfahrt auf der Streif in Kitzbühl gewonnen hat, dürfte nahe an der Perfektion gewesen sein. Wer selbst Ski fährt, hat diesen Moment schlicht genossen: Das war perfekter Sport eines gereiften und perfekten Athleten. Cuche ist im Alter seiner Karriere ein sehr ruhiger Mensch geworden, gefestigt und in sich ruhend. Das Bewusstsein, dass sich seine Karriere dem Ende zuneigt, lässt ihn alle Elemente seines Sports sehr akribisch und dennoch mit Lust verfolgen. Er ist dort angekommen, wo man sich um die kleinsten Details kümmern kann, weil man sein Metier so gut beherrscht, dass nur noch in diesen Bereichen Fortschritte möglich sind. Und dennoch – oder gerade deswegen – war von ihm nie ein überhebliches Wort zu vernehmen. Wer ihn in Kitzbühl reden hörte, konnte da schon aufnehmen, was niemand so gut spürt wie der beste seines Fachs: Cuche sprach vom extrem schmalen Grat zwischen Perfektion und Überforderung, dem Moment, wo alles kippt und ein winziger Fehler aus einer perfekten eine Sturzfahrt macht.

Der Perfektionist Cuche verfolgt die Entwicklung von Material und Pisten mit Sorge. Nun hat er seinen Mund so aufgemacht, dass ihn alle verstanden, und die Abtragung eines Sprunges um ein paar Zentimeter verlangt: Für eine Prise mehr Sicherheit. Und ganz offensichtlich hat er damit ein paar Menschen auf dem falschen Fuss erwischt – und darum etwas mehr Druck aufgesetzt:
Es ist ja schon oft erstaunlich, wie wenig Gehör die Athleten bekommen: Die Funktionäre sind allwissend, von den Sportlern verlangt man Mund halten, Kopf einziehen, Hockeposition einnehmen und runter brettern. Um bei Gelegenheit dann zu monieren, sie wären gesichtslose und hirnlose Spinner, welche die Gefahren nicht sehen würden.

Cuche ist das Diskutieren leid, kaum hat er es begonnen, weil er erfährt, was er im Grunde schon wusste: Gibt man sich bockig, wird man als Spielverderber bezeichnet, und die Männer markieren den dicken Max:
Ausgerechnet er dürfte doch mit dem Sprung kein Problem haben, und wer eines hätte, müsse eben Tempo rausnehmen. Es sind genau diejenigen, die, wenn ein Fahrfehler Grund für eine schlimme Verletzung ist, schnell mal zur Tagesordnung übergehen. Als wenn wir in einer Welt leben würden, wo keine Fehler gemacht werden…

Cuche hat sich gewehrt – für alle, und er hat den einzigen Druck aufgesetzt, den es für ihn geben kann: Er hat an die Verantwortung der Funktionäre apelliert und gedroht, im Falle eines Unfalls diese Verantwortung auch einzufordern. Er hat sich vor alle Athleten gestellt, weil er weiss, dass allein ihm kaum einer unterstellen kann, dass bei ihm schlicht die Angst mitfährt und es deswegen sein Problem wäre. Und was ist geschehen? Man hat ihm einen Verweis erteilt, eine Strafe aufgebrummt, Cuche verlor Energie und lieferte zwei mittelmässige Fahrten, bevor er dann im Super-G die Antwort gab und gewann. Für Cuche ist die Sache damit nicht gegessen, und er wird sich noch mehr Gedanken über die Mechanismen machen, die seinen Sport bestimmen – und in dem es auf Grund des Materials und der Pistenpräparierungen immer mehr Unfälle gibt. Und das in einem Sport in dem kaum ein Athlet nicht einmal in seiner Karriere für viele Monate ausfällt. Skisport ist extrem gefährlich geworden. Und es besteht dringender Handlungsbedarf.

Es ist geradezu beschämend, wie mit Cuche umgesprungen wird. Und selbst ein Bernhard Russi verliert dabei für mich Glaubwürdigkeit, wenn er Cuche per Blick-Kolumne rät, sich auf den Sport zu konzentrieren. Nein. Es ist höchste Zeit, dass sich etwas verändert. Das Material lässt sich nicht mehr beherrschen – und die Pistenpräparierung an der WM in Garmisch war in dieser Form nur möglich, weil dem Ziel eines spektakulären Rennens viel zu viel untergeordnet wird.

Die Athleten liefern in jedem Rennen grossartigen Sport. Man bezahlt ihnen dafür viel Geld. Aber das gibt niemandem, auch uns Zuschauern nicht das Recht, von ihnen hirnlose Bereitschaft zur Riskierung der eigenen Gesundheit zu verlangen.

Zu Dritt standen die Österreicher im Ziel auf dem Podest, als ihnen Cuche im Super-G den Sieg heute wegschnappte. Sie haben ihm alle gratuliert, geklatscht und sind zu ihm hingegangen. Der Respekt, den sich die Fahrer untereinander erweisen, würde man sich auch von den Funktionären wünschen – für die Athleten, ohne die im Grunde gar nichts gehen würde.

Wenn wieder ein Fahrer im Koma liegt, werden sie alle wieder sehr betroffen tun… Womöglich würde sich dann aber niemand so viele echte Vorwürfe machen, wie Diedier Cuche, weil er sich eben nicht noch mehr gewehrt hat für ein Stück neue Vernunft.

Darum wünsche ich Didier Cuche, dass er die kleine Kristallkugel des besten Abfahrers doch noch gewinnt. Und die Super-G-Wertung dazu. Dass ich da ganz bestimmt nicht der einzige bin, freut mich sehr – und ist eine Wertschätzung, die Cuche gebührt, ganz egal, wie es ausgeht.

Auf jeden Fall würde es dazu beitragen, dass die Diskussion wirklich geführt wird. Über die Saison hinaus.