Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Hauch Milde als Geschenk

∞  8 Oktober 2010, 00:20

Ich habe mich aufs Lesen gefreut. Und aufs Schreiben. Ich hätte nichts weiter gebraucht in dieser Woche, als Ruhe. Es wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn es sieben Tage geregnet hätte. Wir hatten alles da in unserem Knusperhäuschen. Auch dank Thinkabouts Wife. Und vor allem waren wir beide wirklich da. Immer.

Bekommen habe ich aber viel mehr als “freie” Lesestunden. Die zweite Wochenhälfte ist traumhaft. Mit milden Herbsttemperaturen, welche das Wandern auch auf knapp 2000 müM zur Lust machen. Das Gefühl heute auf der Hochebene über Dötra war sehr körperlich: Wir schauten über die Moorlandschaft, und dahinter stiegen die Schneeberge in den Himmel.




Den ganzen Tag über zogen vereinzelte Wolken von Aquacalda her über die Anhöhen, ohne sich auf unserer Seite absenken zu können. Der leise Wind war ein Hauch, der die Haut kühlte, während ich der Sonne zugewandt auf dem weichen Boden vor einer Fichtengruppe liegen blieb. Genau so, wie ich fühlen konnte, dass die Kraft der Höhensonne auch im Oktober noch gefährlich für meine Haut wäre, würde ich lange so liegen bleiben, genau so konnte ich spüren, wie fragil dieses Klima ist, wie ätherisch mein Glücksmoment: Ein bisschen mehr Wind, ein leiser Wetterumschwung, und alle Lieblichkeit verwandelt sich in rauhe Kälte. Der erste Schnee ist weg gebrannt worden von diesen herrlichen Herbsttagen. Vielleicht bleibt schon der nächste liegen, und der Wind, der jetzt milde kühlt, wird dann unerbittlich um die Häuser von Dötra wirbeln und den Wiesen die Winterruhe aufzwingen.

Die Natur schenkt und nimmt. Manchmal mögen wir uns nicht mehr als Teil von ihr sehen und im einzelnen Moment uns losgelöst empfinden. So aber ist kein Glück für uns möglich. Ohne mein Körpergefühl und das Wissen und die Demut, die dazu gehört, dass alles geschenkt ist, lässt sich kein Moment wirklich feiern.
Ich werde durch den ganzen Winter die Erinnerung an diesen Tag tragen – und ich werde noch lange wissen, wie gesund sich meine müden Beine anfühlten, abends auf der Steinbank vor dem Haus. Wie gut hat der Nescafé geschmeckt! Besser als mancher Espresso aus dem Vollautomaten im Zuhause bei Zürich. Wir werden dahin zurück kehren, durch den Gotthard, durch einen Tunnel von 17km Länge, während in wenigen Tagen ein weiterer Durchstich durch dieses Massiv gefeiert wird: 55km für den Bahnverkehr… Was für Leistungen und Anstrengungen das sind, welche wir Menschen zu leisten vermögen. Und doch ist nichts davon ausserhalb der Milde der Natur von sicherer Beständigkeit. Wir können Sicherheiten berechnen, aber sie bleiben immer ein bisschen theoretisch. Was uns bestimmt ist, lässt sich von keiner Mauer und keinem Tunnel und keinem Bauwerk verhindern. Auf einer anderen Ebene sind wir wie die Kühe, welche für uns auf der Alp sommern und tun, was ihnen beschieden ist.



Gott hat uns die Möglichkeit geschenkt, uns freuen zu können. Glücksgefühle zu empfinden. Und die Natur schenkt uns die Tage, an denen dieses Geschenk so leicht und einfach zu geniessen ist.