Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Big Boss macht Mutterschaftsurlaub

∞  6 Juli 2009, 21:00

Eine interessante und auch außergewöhnliche Situation:

Die Chefin von ABB Schweiz, Jasmin Staiblin, bekommt ein Kind. Und sie will den gesetzlich erlaubten Mutterschaftsurlaub von sechzehn Wochen in Anspruch nehmen.

Die Weltwoche macht dies in ihrer Ausgabe 27/09 gleich doppelt zum Thema: Roger Köppel fragt im Editorial, ob dies „in Ordnung sei“ (ist es natürlich nicht), und René Lüchinger konstatiert in einem Kommentar „die nicht wahr genommene Führungsverantwortung“. Beide Journalisten setzen ihrer Argumentation zugrunde, dass einfach alles vom Chef abhängt. Von seiner Tüchtigkeit hängen die Arbeitsplätze ab (Köppel). Versagt der Chef, geht die Firma unter (Köppel). Er schreibt von den ungeschriebenen Gesetzen des Unternehmertums, denen sich auch Frauen unterwerfen müssten, was bedeutet, dass sich die ganze Person für den Erfolg der Firma hinzugeben hat.

Und Lüchinger stellt fest, dass 16 Wochen Ausstand „nicht gehen“. Für ihn bedeutet Topmanagement „Sechzig- oder Siebzig-Stunden-Wochen, Entbehrung und weitgehender Verzicht auf ein geregeltes Familienleben“. Dass zahlreiche Managerehen geschieden und Kinder von Top-Führungskräften ohne Vaterfiguren aufwachsen, ist unabwendbar und ein Indiz, dass alles der Verantwortung für die Firma untergeordnet wird. Es fehlt auch nicht der Hinweis, dass der Arbeitgeber diese Hingabe mit dem fürstlichen Gehalt einkauft.
Der Kommentar endet mit dem Hinweis, dass die „ABB gut daran täte, einen Plan B in der Schublade zu haben“.

Und hier setzt denn auch mein Contra ein: Die beiden Journalisten benützen das Beispiel zum Versuch einer Grundsatzdiskussion in einer Frage, die erst einmal niemanden außer der ABB selbst etwas angeht. Davon auszugehen, dass sich die ABB keine Gedanken zu einem Plan B gemacht hat, ist einigermaßen selbstherrlich. Die Argumentationskette liest sich wie der Versuch, vorauseilend den Mythos der großartigen (männlichen) Manager zu verteidigen, wonach selbstverständlich das ganze Wohl des Unternehmens von einem Superhero, dem General abhängt. Und genau diesem Mythos entsprechen auch die exorbitanten Saläre, die solchen Personen, die in aller Regel Manager und nicht Unternehmer sind, bezahlt werden.
Persönlich ist mir einigermaßen unwohl, wenn ich mir vorstelle, dass die Novartis den Rhein runter treibt und womöglich ersäuft, wenn Daniel Vasella nicht an Bord ist. Auch und gerade der oberste Chef sollte seine Firma so organisieren – und seine Mitarbeiter so auswählen, dass jeder seine persönlichen Qualitäten einbringt, aber keiner unersetzbar ist. Ein Mutterschaftsurlaub ist zudem planbar (das Lösungsmodell für die Firma damit auch), ein Unfall oder eine Krankheit nicht. Und trotzdem gibt es auch dafür garantiert überall Schlachtpläne, wie ich schwer hoffe, um es auch etwas martialisch auszudrücken.
Der Friedhof ist voll von unersetzlichen Managern und Unternehmern, die alle ersetzt wurden. Zwangsläufig.

Diese Kritik will nur die Krux dieser alten und tief verankerten Denkweise offen legen. Persönlich kann ich gar nicht beurteilen, ob das bei der ABB versuchte Modell wirklich funktionieren wird. Interessant finde ich etwas anderes:

Die ABB scheint sich auf oberster Ebene ein Angestelltenmodell zuzutrauen, das Jobsharing und Familienleben mit einbezieht. Natürlich ist es möglich, dass sich Angestellte, wie es Lüchinger suggerieren will, sogleich in einem führungslosen Zustand sehen. Dass von der ABB ein Statthalter bestimmt ist (jaaah, selbst Frau Staiblin hat einen Chef, und dieser, Präsident Peter Smits, übernimmt vorübergehend), und der Zürcher Headhunter Björn Johannsson explizit meint, es wäre „alles nur eine Frage von „mindset“ und Organisation“, wird zwar erwähnt, aber es wird nicht darauf eingegangen. Dabei ist ja genau das die spannende Frage:
Was wäre, wenn die ABB Schweiz zu einem Modell würde, in dem alternative Führungsmodelle von oben eingeführt und breiter umgesetzt würden? Wenn Mitarbeiter, Frauen wie Männer, genau darin die Qualität ihrer Firma sähen, dass diese ihre Angestellten ernst nimmt, indem sie explizit auch deren gewonnene Qualitäten als Familien“manager“ fördern und dann auch nutzen will?

Was wäre, wenn Männer darin keinen Angriff mehr auf ihren Krieger-Mythos sähen – und die Frauen ernst damit machten, Loyalität zu Familie und Unternehmen praktisch umzusetzen. Wäre doch phantastisch, wenn sich beweisen ließe, dass jemand, der nur fünfzig Stunden pro Woche arbeitet, vielleicht mehr damit heraus holt, als jener, der siebzig Stunden malocht? Wie das gehen soll, hat mir bis jetzt sowieso niemand erklären können.

Wenn ich mir einen Siebzig-Stunden-Wochenjob beschreiben lasse, dann steckt darin sehr viel „Repräsentation“, allenfalls Reisen und ganz sicher Pflege einer Wichtigkeit, die man nur dann ernst nehmen kann, wenn man die Chance zum Ehemann und Familienvater verloren hat und seinen persönlichen Wert nur noch mit dem Ansehen in einer Welt gleich setzen kann, wie sie Lüchinger und Köppel beschwören.