Thinkabout

Russland muss mit verschärften Sanktionen rechnen und spekuliert über Putins Schicksal. Was, wenn dieser Mann viel weiter zu denken bereit ist als alle, die ihm jetzt gegenüber treten?

Ich höre Radioberichte, in denen darüber spekuliert wird, wie stark Putin angeschlagen sein könnte, wenn die Sanktionen des Westens zu greifen beginnen. Über das Umschlagen der Stimmung wird spekuliert und den wachsenden Druck, dem er sich ausgesetzt sehen könnte. Kein Wort über die wechselseitigen Abhängigkeiten und das Lavieren, das Europa nötig hat, nachdem es sich energiepolitisch so sehr von Russland aghängig gemacht hat. Und kein Wort davon, wie gefährlich die Situation wird, wenn Putin tatsächlich in die Enge getrieben wird: Denn der Mann regiert ein Volk, das in seiner Seele zutiefst getroffen ist und die Schmach der entgangenen Grossmachtsbedeutung nicht vergessen hat. Ein Machthaber in der Klemme könnte sich genötigt sehen, diese Gefühle noch mehr zu aktivieren und den innenpolitischen Gefahren noch mehr militärische externe Aktivitäten entgegen zu stellen. Die Mehrzahl der Russen wird ihm folgen, viel länger, als wir uns das vorstellen mögen.

Wir spielen mit der Gefahr neuer Kriege in Europa. Ich glaube, die Gefahr ist viel grösser, als wir uns vorstellen können. Und mit ein Problem ist, dass die EU scheinbar nur eine Strategie kennt: Staaten an der Peripherie schneller als möglich wirtschaftlich und bündnistechnisch in die EU zu integrieren, an sie zu binden, Mitgliedschaften ins Auge zu fassen, völlig losgelöst von der Frage, was denn einen EU-Bürger in Portugal wohl mit einem Ukrainer verbinden möge – oder mit einem türkischen Anhänger von Erdogan?

Ich kenne mich, ehrlich gesagt, je länger je weniger aus in unserem Europa – und ich empfinde die ganze Mache der Europäischen Union je länger je mehr als eine Relation, die man höchstens deswegen nicht über den Haufen wirft, weil das wirtschaftliche Chaos unvorstellbar gross würde. Aber wer regiert Europa wirklich? Wer hat welche Zügel in der Hand?