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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die wirklich beunruhigende Schlussfolgerung

∞  22 Februar 2014, 22:54

Ich bin gefragt worden, welche Reaktion im Ausland mich denn nach der Annahme der Zuwanderungsinitiative in der Schweiz am meisten beschäftigen würde – und ich muss nicht lange überlegen.

Es ist die Schlussfolgerung in den unterschiedlichsten Kommentaren, dass ein solches Abstimmungsergebnis belege, dass direkte Volksentscheide generell verhindert werden müssten. Zu dieser Ansicht gelangen nicht nur frustrierte bis entsetzte Kommentarschreiber in Blogs, und nicht nur Politiker wie Gauck und Merkel, die das schon lange weit von sich weisen, sondern auch Medien, die sich als Teil eines demokatischen Gefüges verstehen. Einem wirklichen Demokraten muss diese Haltung Gänsehaut verursachen. Dabei geht es gar nicht darum, die demokratischen Prozesse, wie sie in der Schweiz über Jahrhunderte gewachsen sind, nun hopplahopp überall zu fordern – aber es ginge sehr wohl darum, die politische Debatte über die Volksrechte nicht zu scheuen und sie vielmehr zu fördern. Denn nichts vergrössert die Distanz zwischen Regierenden und Regierten mehr als die am Ende noch legitimierbare abschätzige Haltung der Politiker gegenüber ihren Wählern.

In nichts wird – hören wir Schweizer solche Stimmen im Ausland – so deutlich für uns, wie riesig gross die Unterschiede im politischen Verständnis des Wesens der Demokratie zwischen uns und unseren Nachbarstaaten sind.

Ganz besonders abstrus mutet es auch im einzelnen Fall an, wenn in einem Kommentar die ausländerfeindliche Haltung der Schweizer angeprangert wird, im Nein eine Art Hochmut ausgemacht wird, um dann im Umkehrschluss zu folgern, dass so dumme Menschen eben gar nicht über eine solche Frage entscheiden können sollten.

Ganz selbstverständlich nimmt man dabei für sich selber und seine politische Kultur an, dass man die Weisheit selbst mit Löffeln gefressen hat, auf der Seite der Wissenden steht oder zumindest der Wohlmeinenden, und folglich zu wünschen ist, dass es kein objektivierbares System gibt, das ermittelt, wie elitär solches Denken womöglich ist. Wie wenn es irgend eine Gewähr gäbe, dass sich solche Unaufgeregheit gegenüber Fremdbestimmung nicht plötzlich mal gegen eienen selber richten könnte. Und wie wenn es besser wäre, wenn eine knappe Mehrheit, als solche nicht erkennbar, die Faust im Sack machen würde, bis irgend eines Tages ganz andere ordnungspolitische Kräfte bemüht werden müssen, um den Deckel auf dem dampfenden Topf zu halten, dessen Inhalt angeschwollen ist.

Wer nun die Dummheit des Schweizer Stimmvolks belegt sieht, verkennt im übrigen die Mechanismen des politischen Systems in der Schweiz, in dem Referenden und Volksinitiativen und die Einbindung aller massgeblichen Parteien in Regierungsaufgaben jeder neuen politischen Richtung immer das Korrektiv der nächsten Abstimmung androhen: Es lässt sich gar nicht anders als mit Sachentscheidungen regieren und damit auf Veränderungen in der Wahrnehmung des Volkes reagieren. Das ist der Schweiz unter dem Strich sehr gut bekommen, weil es – solchen Abstimmungsergebnissen zum Trotz – garantiert, dass jede Veränderung politisch zäh errungen werden muss – und sich zu bewähren hat – immer wieder vor dem Urteil des Stimmvolks. Es gibt keine achtenswertere Instanz für einen politisierenden Menschen als das Abstimmungsergebnis, und wer akzeptiert, dass er verloren hat, wenn er nicht überzeugen konnte, der kann beim nächsten Mal auch zu den Siegern gehören. Ohne dass irgend jemandem deswegen bange werden müsste.

Blochers SVP hat zwar einen neuen Sieg errungen – aber die Welt der Schweiz gerät deswegen nicht aus den Fugen. Diese Ängste sind für mich vorbei, und ich bin überzeugt, dass damit auch die Gewähr dafür besteht, dass wir Wege finden werden, auf die Ängste der Menschen in unserem Land genau so einzugehen wie auf den Wunsch nach Prosperität. Interpretiert man das Ergebnis dann noch so, dass den Schweizern die Angst vor nicht unverändert wachsendem Wohlstand weniger tief in den Knochen sass als das Unbehagen vor dem ungebremsten Wachstumsglauben, dann kann es sogar richtig spannend werden.

Dumme Abstimmungsgegner zu vermuten ist als Frustreaktion verständlich. Die Dummheit zu begehen, die Sieger nicht ernst zu nehmen und ihnen alle ehrlichen und vielleicht gar nicht so falschen Beweggründe von vornherein abzusprechen – das wäre mindestens so dumm – und vielleicht sogar der Beginn einer verpassten Chance.