Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Welt gegen Aids. Und wir?

∞  1 Dezember 2012, 17:50

1. Dezember. Es ist Welt Aidstag. Mich interessieren diese internationalen Memorial-Tage ja eigentlich nicht. Vatertag, selbst Muttertag, geschweige denn Männertag. Vielleicht gibt’s auch einen Hebammentag. Alles geschenkt, unnötig, denn jeder Tag bringt Gelegenheit, jede Art von Beruf und Geschlecht zu feiern und ihm seinen Wert zu schenken. Doch hier ist es anders. Der Tag ist nötig. Und das ist an sich, nach meinem persönlichen Empfinden, wirklich ein Skandal für sich. Hier ist Scham wirklich einmal angebracht.

blu.fm


Wir mokieren uns über Afrika, über obskure Statements selbst von Politikern, was alles eine Ansteckung mit Aids verhindern würde – und umgekehrt ist das Moralin auch aus westlichen Köpfen von Gläubigen nicht rauszuklopfen: Dass nämlich Aids eine Strafe Gottes sei (und damit natürlich nur jene trifft, die es “verdient” haben). Doch der Vorbehalt gegen mögliche Opfer dieser Krankheit geht noch viel weiter und besteht in wohl viel mehr Köpfen, als man es sich wünschen würde. Zum Beispiel gibt es so manchen Zeitgenossen, der nichts gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften einwenden mag, sich aber ganz bestimmt nicht für Aidsopfer engagieren würde, wenn diese schwul sind. Um nur die Ambivalenz gegenüber einer der Risikogruppen vom Rand her ein wenig einzufangen.

Keiner mag sich öffentlich gegen die Sexualisierung unserer Gesellschaft engagieren, aber wenn jemand dann das Stigma dieser unheilbaren Krankheit offenbart, scheint es Zeit zu sein, sich den Gedanken zu gönnen, dass er oder sie “selber schuld sei”. Und ich möchte nicht wissen, wie viele Männer sich schon darüber mokiert haben, warum “der Trottel” keinen Gummi benutzt habe, obwohl die Person weiss, dass sie sich selbst schon dem Risiko ausgesetzt hatte. Und fragt mal unsere Jungen, wie wenig Rüstzeug und Vorbereitung sie noch immer mit auf den Weg bekommen, wenn sie ihre Sexulaität zu entdecken beginnen: Es ist das alte Dilemma längst nicht überwunden: Wie bringe ich den Schutz ins Spiel?

Sex war noch nie so leicht und so breit gestreut zu bekommen, wurde noch nie so selbstverständlich so unverbindlich genossen – und damit immer seltener als schöner Ausdruck einer verbindlichen Beziehung verstanden. Betrachtet man die Sache so, und ist man sich bewusst, wie oft wir schlicht Glück haben, dass ein persönliches Fehlverhalten nicht sanktioniert wird – zum Beispiel im Autoverkehr – so wird keinem Opfer von Aids ein Pauschalurteil gerecht. Jede Anwandlung, mit der wir einem Menschen, der sich mit einer tödlichen Krankheit konfrontiert sieht, ein verdientes Schicksal andeuteln, macht uns zum überheblichen Richter über Leben und Tod – und zum Rufer nach einem “Gesetz”, dem wir selbst nie gerecht werden können – denn wir sollten uns nicht die Schärfe dieses Urteils allgemein angewendet auf uns Menschen wünschen. Wir würden sehr schnell in einer Hölle leben, bevor uns irgendwas vom Leben erlöst.

Wenn ich daran denke, wie aufgeregt wir auf Bedrohungen wie die sagenhafte Vogelgrippe reagiert haben, und wie gleichgültig wir mit dem Fakt um gehen, dass nach wie vor Tausende unter uns immer wieder neu mit dieser Diagnose umgehen müssen, zeigt nur eines: Wie oberflächlich gleichgültig, und nicht etwa wirklich tolerant wir mit jenen Menschen umgehen, die anders leben als wir.