Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Warteschlange

∞  13 September 2008, 17:51

Von Kolonnen, den Frauen an sich, von einigen Männern und noch so Zeugs wie Autos, z.B.




Ist das überhaupt ein deutsches Wort? Wartet man da auf die Schlange oder wartet eine Schlange? Die schlängelt sich doch eher, während hier nix mit Schlängeln ist. Hier steht man schön brav in der Reihe.

Schweizer, die gerne schlängeln würden und dann anderen beim Schlängeln zusehen, wissen allerdings sofort, dass das Deutsche sein müssen. Aber egal.

Bei uns im Quartier gab es einen kleinen Postschalter. Ich weiss, das muss lange her sein. Heute ist er da ja auch nicht mehr, und einen Volg-Quartierladen, der wenigstens Briefmarken verkauft und Pakete annimmt, gibt es da auch nicht. Du trägst jetzt Deine Post einen Kilometer weiter, kannst wählen, ob nach links oder rechts, und am Ziel ist die Schlange dann dreimal länger, dafür wohl organisiert: Man steht da wie am Flughafen zwischen Stoffbändern.

Aber eben, damals im Quartier, da war das Warten in der Schlange manchmal ganz interessant, der soziologisch-ethnischen Konflikte wegen. Ich will ja politisch korrekt bleiben, darum sage ich jetzt nichts Genaueres, aber für gewisse Männer aus gewissen Ländern ist das Anstehen hinter anderen Menschen an sich schon schlimm, aber wehe, es handelt sich bei diesen Menschen um – Frauen!

Ich gebe es zu: Es war mir dann jeweils eine besondere Lust, einem solchen Herrn auf seine speckige Garderobenschulter zu tippen und ihn freundlich darauf aufmerksam zu machen, dass ihm sicher entgangen sei, dass die Dame halb-links hinter ihm eben noch halb-rechts vor ihm gestanden sei, und er wolle doch bestimmt ein Gentleman sein. Dabei schaffte ich es, meinen Augen den gewissen Pfadfinderglanz zu geben: Das ist der “du-musst-mir-nicht-danken-für-meine-Hilfe” – Ausdruck, während er so genau wie ich wusste, dass ich es anders meinte und sich mein Mund bestimmt zu einem schäbigen Grinsen verzogen hatte.

Insgesamt waren wir da beide wohl ziemlich hässlich drauf. Und ich gebe weiter zu, dass ich es in einem solchen Moment genoss, im Vorteil des Einheimischen in einer Masse Menschen zu sein, in der sich der Antipode als leidgeprüfter halb-assimilierter Kulturexot besser in die Deckung zurück zog.

Nur: Die Schlängel-Reflexbewegung ist ja nicht nur Männern vorbehalten, deren eigene Frauen zu gleicher Zeit nie vor die Tür kämen, sie befällt vielmehr Männer aller Kulturen immer wieder in genau dieser Situation: Vielleicht haben wir kurz zuvor noch im Café die Zeitung länger gelesen als beabsichtigt, aber jetzt am Postschalter wissen wir genau, dass wir furchtbar Wichtiges zu erledigen haben – und natürlich ist klar, dass wir uns darin von den Menschen hinter und vor allem vor uns unterscheiden.
Fehlt nur noch, dass die Dame vorne hinter dem Schalter (im Schalter, am Schalter?), also die Dame hinter sicherem Glas vor dem Kopf der Schlange, der ich jetzt bin, zu mir sagt:

“Tut mir Leid, mein Herr, Päckchen mit mehr als zwei Kilogramm müssen Sie zur Sihlpost bringen. Fahrpläne mit den Busverbindungen liegen beim Eingang auf.”

Und wissen Sie, was dann kommt und ich am meisten hasse? Ich beginne dem Herrn von vorhin mit seinen speckigen Gender-Ansichten zu gleichen, verwünsche das unschuldige Kind hinter dem Glas, das bestimmt Panzerglas ist in unseren heutigen dienstfreundlichen Zeiten, und denke beim Herausgehen an einen alten Kinderwitz, nachdem der Unterschied zwischen einer richtigen Schlange und einer Autoschlange darin besteht, dass bei letzterer das Arschloch vorne sitzt.

Die Zeit ist noch nicht gekommen, in der sich heimlich und schleichend aber scheinbar unabwendbar das Bild in mir festsetzt, dass es sich dabei um eine Frau handelt. Und sie kommt hoffentlich auch nicht.

Dagegen ankämpfen kann ich ja derweil in der Schlange an Autos, an deren Ende ich warte, bis die Dame da vorn endlich eingeparkt hat.

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[Bildquelle: Aus der caro-art-Serie über Amsterdam – Menschen stehen vor dem Anne-Frank-Museum an]

Anmerkung: Der Text ist das Ergebnis einer von schaumalhin gestellten Aufgabe.




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Können SIE anstehen und sich doch als Gewinner fühlen? Glückwunsch!