Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die SVP kann (noch) gar nicht verlieren

∞  8 November 2010, 21:35

Ich tue mir im Moment auch einige der Debatten zur sog. Ausschaffungsinitiative an. Ich kann das Thema Ausländer als politisches Kernthema bald nicht mehr hören. Es ist mehr als überstrapaziert. Gegenwärtig tapst gerade die SP in diese Falle: Die Genossen empfehlen, die SVP-Initiative wie den Gegenvorschlag des Parlaments abzulehnen, obwohl die SP dem Gegenvorschlag erfolgreich einen Integrationsartikel angehängt hatte.

Prompt führte die Abstimmungsparole dazu, dass sich ein PRO-Gegenvorschlags-Komitee aus SP-Fraktionsmitgliedern gebildet hat. Und was ist die Folge? Die SP schwächte erst die Chancen des Gegenvorschlags mit ihrer NEIN-Proklamation und spielte damit der SVP in die Hände, und verprasst nun alle Energie, die sie doch eigentlich brauchen würde, um für die gleichzeitig vorgelegte Initiative für Steuergerechtigkeit zu kämpfen. Stattdessen muss die Partei die innere Uneinigkeit beim SVP-Grundthema “Ausländerpolitik” rechtfertigen.
Die SP-Initiative für mehr Steuergerechtigkeit scheint allerdings eh chancenlos. Am Ende wird die SP als grosse Verliererin wieder das Wehklagen anführen und den Mitteparteien mangelnde Positionsklarheit vorwerfen.

Aber die Schweizer wollen die Steuerhoheit und den entsprechenden Wettbewerb um die Steuerzahler unter den Kantonen. Die Vorgabe, dass besonders Reiche nach einem minimalen Steuersatz zu besteuern sind, egal in welchem Kanton sie wohnen, wird keine Chance haben.

Die sog. Ausschaffungsinitiative ist dagegen wieder mal ein typisches SVP-Produkt: Dem Volk genau aufs Gemüt geschaut und auch entsprechend grobschlächtig ausgearbeitet, will die Initiative die Ausschaffung von rechtsgültig verurteilten ausländischen Straftätern nach einem festgelegten Strafenkatalog zwingend vorschreiben. In diesem Katalog sind die Straftatbestände einzeln aufgeführt. Die Aufzählung enthält Delikte vom einfachen Einbruch bis zum schweren Sexualdelikt und natürlich Mord. An Wirtschaftsbetrüger und dergleichen hat man dabei nicht gedacht. Dafür aber an die Sozialschmarotzer: Der missbräuchliche Bezug von Sozialleistungen hat ebenfalls die Ausschaffung zur Folge.

Der Gegenvorschlag führt keinen solchen Katalog auf, nennt als Kriterium für die Schwere der Tat mit der entsprechenden Konsequenz aber das Strafmass:

Danach trifft die Sanktion der Ausschaffung jeden ausländischen Verurteilten, dessen Strafmass eine bestimmte Höhe erreicht bzw. dessen Delikt entsprechend schwere Strafen vorsieht. Indem keine Rechtsmittel ausgeschlossen werden und die Regelung über das Kriterium des Strafmasses Bagatelldeliktsfälle wie einen “einfachen Einbruch” ausschliesst, ist diese Regelung auf alle Verbrechen als Bewertungskriterium anwendbar und leichter umsetzbar, weil sie auf dem geltenden Instanzenrecht aufbaut.

Niemand wird behaupten wollen, es hätte im Dunstkreis der SVP keine Juristen gegeben, welche die störenden Ungleichgewichte des “Sünden-Katalogs” hätten beseitigen können. Vielmehr ist es wohl so, dass die vorhandene Schwammigkeit ganz bewusst und gezielt gewollt ist, weil sie den Frustrierten erlaubt, die Faust nicht nur im Sack zu machen, sondern damit auf den Tisch zu hauen.

Und für alle anderen ist der Zusatz ja enthalten: Der Katalog der Delikte und deren Schwere soll ergänzt und präzisiert werden durch das Parlament.

Die SVP gewinnt also so oder so: Wird die Initiative angenommen, in der Folge aber die störende Diskrepanz in der Bewertung der Verstösse nivelliert und korrigiert, so lässt sich wunderbar brüllen, das Parlament würde den von der SVP ermittelten und vertretenen Volkswillen nicht beachten. Wieder einmal macht die SVP mit dem Bauch Politik, und die Raison bleibt dann die Verantwortung der immer weniger breiten Mitte. Damit lassen sich keine Wahlen gewinnen.

Genau damit aber hat die SVP mit dieser Abstimmung begonnen: Mit Wahlkampf. Ausgewogenheit ist da nicht das Ziel. Nicht mal Durchsetzbarkeit hat oberste Priorität.

Mit der wiederkehrenden Lancierung von Volksinitiativen, die sich beständig der Gefahr ausgesetzt sehen, völkerrechtlich (oder europarechtlich) nicht durchsetzbar zu sein, betreiben politische Profis im Land ein verheerendes Spiel mit einem schwelenden Feuer: Wenn die Bürger den Eindruck bekommen, ihr von einer Partei alimentierter und ausgedrückter Wille würde missachtet, dann ist stille Abkehr oder brodelnde Frustration die Folge. Beides kann verheerend sein und sich auch gegen die Sieger von heute richten.

Wer weiss? Vielleicht wird eines Tages darüber diskutiert, ob bei entsprechenden Straffälligkeiten das Schweizer Bürgerrecht abzugeben ist? Das Spiel lässt sich noch viel weiter denken, als uns allen lieb sein kann.

Wie es auch ausgeht: Politiker wie Staatsapparate müssen sich bewusst machen, dass die mangelnde Konsequenz in der Durchsetzung von Gesetzen, die Verschleppung von Verfahren in langen Rekursmöglichkeiten etc. dazu beitragen, dass Menschen, deren Angst gefördert wird, erst recht meinen, es gäbe tatsächlich keine wirksamen Instrumente gegen die Kriminalisierung der Gesellschaft. Und die Politiker sind aufgefordert, auch Energie darauf zu verwenden, beschlossene Gesetze, Massnahmen etc. in der Praxis weiter zu verfolgen und den Finger auf allfällige Schlampereien zu halten. Konkrete Missstände müssen aufgearbeitet, thematisiert werden, und der Kampf gegen endlose und zahnlose Verfahren, die ins Leere laufen, muss immer und immer wieder aufgenommen werden. Damit sind nicht nur Prozesse gegen Ausländer gemeint, sondern alle Arten von Abläufen, die in endlosen Warteschlaufen zermürbend für alle Seiten wirken.