Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Steuerfrage bringt uns ausser Rand und Band

∞  1 April 2012, 12:29

Ich kenn mich einfach nicht mehr aus in der Welt, die mich regiert:
Die Terrorgefahr macht den gläsernen Bürger notwendig, sagten uns die Amis, die Beschützer der Welt.
Der Westen ist klamm und hat leere Taschen. Und plötzlich wird Geldströmen hinterher gehechelt, die man eben noch fliessen liess, und dafür jede Art der Datenbeschaffung legitimiert.


Finanzmärkte gelten nicht länger als das Schmiermittel der Wirtschaft; sie haben selbst so manchen Knüppel ins Räderwerk geworfen. Bezahlt wird die Zeche auch hier vom Bürger, der ein weiteres Stück des Schutzes seiner Identität verliert. Mittlerweile ist jeder in die Schweiz transferierte Euro erst einmal schmutzig und ein ungehemmter gegenseitiger Datenaustausch zwischen den Staaten bietet vielleicht schon bald ungeahnte Möglichkeiten, die Privatsphäre jedes Einzelnen vollständig aufzulösen. Noch schwant uns nicht, was das bedeutet: Wir haben es mit einem Staat zu tun, der in seinen Handlungen in keiner Weise souverän agiert – sondern nur nach Massgabe seiner momentanen Not, unter dessen Eindruck er rechtsstaatliche und gesellschaftliche Prinzipien nach den aktuellen Befindlichkeiten moderiert und manipuliert: Es gibt ganz offensichtlich keinerlei Datensicherheit in persönlichen Belangen: Im Zweifelsfall zieht immer das Argument, wer nichts zu befürchten habe, müsse auch nichts verbergen.

Der Steuerstreit zwischen Deutschland und der Schweiz, das Gezerre um das Für und Wider einer Abgeltungssteuer und der Schacher um dessen Höhe, die politischen Wortschöpfungen von einer Gerechtigkeitslücke und die ganz offensichtliche plötzlich nochmals anziehende Sensibilität der SPD vor Landtagswahlen für das Thema machen deutlich: Politik ist genauso so unappetitlich vulgär schein-heilig wie Steuerbetrüger gesellschaftsschädigend sind. Nur ist nichts so gefährlich für eine nachhaltig sich verändernde Landschaft der Persönlichkeitsrechte wie der scheinbar so gerechte Zorn der Masse, geschürt von der Politik. Im Ergebnis wird ein Instrument geschaffen, das den Generalverdacht zum Prinzip staatlichen Handelns macht, das mit der Informationsbeschaffung beginnt und damit den Bürger dieses Staates entwertet. Als Konsequenz wird dieser in “seinem” Staat nur noch eine Ordnungsmacht sehen.

In der aktuellen Steuerdebatte hat es die Schweizer Seite nun geschafft, die Gemüter endgültig zum Kochen zu bringen: Zeitnah zum sich verdichtenden Eindruck, dass das Steuerabkommen mit einer Abgeltungssteuer für deutsche Vermögen in der Schweiz nicht zustande kommen dürfte, wird bekannt, dass die Schweizer Justiz einen Haftbefehl gegen drei nordrhein-westfälische Finanzbeamte erlassen hat: Dem Ankauf einer nach Schweizer Recht widerrechtlich erstellten und entwendeten Steuersünder-CD wird “nachrichtliche Wirtschaftsspionage” beigemessen, und die drei deutschen Beamten riskieren bei einer Einreise in die Schweiz ihre Verhaftung. Soweit die deutsche Berichterstattung in Focus online und Bild am Sonntag.

Beschäftigen wir uns kurz mit den Reaktionen der Politik links der Mitte:

Steilvorlage für Hannelore Kraft, die sich demonstrativ hinter “ihre” Beamten stellt, die nur ihre Pflicht getan hätten. […] „Die NRW-Steuerfahnder haben nur ihre Pflicht getan, deutsche Steuerbetrüger zu jagen, die ihr Schwarzgeld auf Schweizer Bankkonten geschafft haben.“

Nur: Das Bemühen um Pflichterfüllung wird gar nicht bestritten. Es geht um die Motivierung zu einer Straftat nach Schweizer Recht, um die Frage, ob Beamte einfach ein Angebot angenommen oder womöglich gar insistiert und Daten in einer bestimmten Form “bestellt” haben. Auch die Rhetorik der Ministerpräsidentin muss niemandem gefallen: Wenn der Staat beginnt, Straftäter zu “jagen”, ist das eine Art Kriegsrhetorik, die es so bis vor kurzem in unseren Gefilden nicht gegeben hat, es sei denn, wir haben amerikanische Krimis geschaut.

Oder Jürgen Trittin:

Offensichtlich will die Schweiz im Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht mit Rechtsstaaten kooperieren. Schlimmer: Jetzt wird offensiv der Schweizer Staat zum Schutz von Kriminellen eingesetzt.

Ist die Frage so abwegig, ob ein Staat ein Rechtsstaat bleibt, wenn er bestehendes Recht bricht, um zu seinem Recht zu kommen? In der letzten Konsequenz wird so eine widerrechtlich erfolgte Hausdurchsuchung nachträglich rechtens, wenn dabei relevantes Material gefunden wird – und wenn nicht? Ist eben der Schaden für den Bürger auch entstanden. Werden diese Grenzen aufgehoben, wird der begründete Verdacht nicht mehr als Voraussetzung für einen staatlichen Eingriff auf allen Ebenen nachgefragt, so fördern wir den ungehemmten Hang zur Datenbeschaffung – ohne wirkliche Kontrollmöglichkeit, was damit langfristig geschieht.

Sigmar Gabriel:

Wer sein Geld am Finanzamt vorbei in die Schweiz schickt, handelt nicht nur asozial, sondern ist Straftäter in Deutschland.

Aber kein Staat bricht für die Verfolgung seiner Straftäter in fremden Ländern deren Gesetze. Das ist ein Tabu, das allenfalls Geheimdienste verletzten. Bis dato. Übrigens ist Steuerbetrug auch in der Schweiz eine Straftat. Es wird hier nur das Prinzip des begründeten Verdachts hoch gehalten.
Und weiter:

Die Bundesregierung verhandelt ein Abkommen mit der Schweiz, wo sie gegen ein bisschen Geld diese Straftaten in Zukunft legitimieren will….

Verzeihung, aber das ist Quatsch. Richtig ist: Durch die Abgeltungssteuer, in der Höhe wie sie zuletzt im Raum stand, wird der Steuerbetrug schlicht uninteressant gemacht. Und sicher gestellt, dass Steuern auch auf nicht ermittelten Geldtransfers entrichtet werden. Ein Stück weit bleibt es immer der gleiche Glaubenskrieg wie bei einer Steueramnestie: Steuerbetrüger und -hinterzieher “reinwaschen” und damit nachträglich “legitimieren” – und eine Basis für zukünftig verbesserte Steuerehrlichkeit schaffen?

Zum Abschluss sei hier noch ein Beitrag zum Thema bei 20min.ch zitiert. [2] Er verdeutlicht den Tatbestand, der zur Ausstellung der Haftbefehle geführt hat:

“Bundesanwalt Michael Lauber sagte am Samstag im Schweizer Radio DRS, es bestehe der konkrete Verdacht, dass in Deutschland

«klare Aufträge zum Ausspionieren von Informationen der Credit Suisse»

gegeben wurden. Die Schweiz habe ein Rechtshilfegesuch in dem Fall an Deutschland gestellt, wie er der Samstagsrundschau sagte. […]”

Es geht danach um ausländische Steuerfahnder, die in der Schweiz Privatpersonen zu einem Verhalten anstiften, das nach unserem hiesigen Recht strafbar ist. Das muss man hier nicht gut finden.


[1] Streit wegen Ankauf von Steuer-CD: Schweizer suchen deutsche Steuerfahnder mit Haftbefehl

[2] Deutsche reagieren heftig auf Haft-Befehl

gefunden via mycomfor