Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Schweiz ist richtungsweisend anders

∞  19 Juli 2010, 17:08

Die Schweiz ist anders. Was mir früher immer ein bisschen wie die Marotte eines überbetonten Mentalitätsunterschieds vorkam, erscheint mir heute grundlegend gültig zu sein. Und dabei meine ich nicht nur Verhaltensweisen und menschliche Reflexe auf äussere Einflüsse, sondern vor allem auch unser politisches System und die daraus resultierenden unterschiedlichen Auffassungen in grundlegenden Fragen.

Die Reaktionen nach der Minarettinitiative, in denen ausländische Medien den Entscheid als Beweis anprangerten, dass die direkte Demokratie unpraktikabel sei, haben uns die Augen geöffnet: Ganz offensichtlich traut die intellektuelle Elite Europas der Mehrheit des eigenen Volkes rational vernünftige Volksentscheide nicht zu. Es herrscht eine regelrechte Angst vor dem sich artikulierenden Unwillen oder Willen des eigenen Volkes. Und es wird stellvertretend für dieses Volk eine Güterabwägung vorgenommen, die diesem Volk dann auch aufgezwungen wird. Dass dabei Grundrechte in Abrede gestellt werden, über Ansichten entschieden wird, bevor sie diskutiert werden könnten, ist höchst problematisch. Mir hat dieser kollektive ausländische Ausbruch an Unverständnis, mag er sich in den folgenden Wochen auch abgeschwächt haben, die Augen dafür geöffnet, in welchem ausserordentlichen politischen System wir in der Schweiz leben. Und ich bin seither entschlossener als jemals zuvor, diese direkte Demokratie so weit, wie es nur irgendwie geht, zu verteidigen.

Im Gegensatz zu vielen Nachbarn traue ich diesen Völkern im übrigen sehr viel mehr Rationalität zu, als deren Regierungen und Medien es tun. Dass es umgekehrt an der Zeit sein könnte, das Volk nicht nur zu Wahlzwecken nach deren Stimmung zu befragen, sondern auch Fragen der Europapolitik, zum Beispiel, nach Mehrheitsbefindlichkeiten anzugehen – oder zumindest die dafür notwendige Überzeugungsarbeit auch zu leisten, ist offensichtlich.

Die Weltwoche hat in einer grossen Umfrage in den Grenzregionen zur Schweiz (Baden-Württemberg, Vorarlberg, Savoyen/Hochsavoyen, Como/Varese) Erstaunliches zu Tage gefördert. Die Ergebnisse sind in der Print-Ausgabe 28/2010 und im Web zusammengefasst.
Erstaunlich sind nicht nur die Resultate an sich, sondern die Gründe dafür – und die Tatsache, dass sich das Ergebnis aller Regionen herzlich wenig unterscheidet.
Zusammengefasst lässt sich folgendes feststellen:
In allen Regionen antworten zwischen 48 und 52% der Befragten auf die Frage:
Möchten Sie der Schweiz beitreten? – mit Ja. Mit Nein antworten nirgends mehr als 44%.
Erstaunlich ist nun, dass die Schweiz nicht nur bezüglich der wirtschaftlichen und steuerlichen Attraktivität bevorzugt wird (mindestens 68%), sondern dass keine Frage so eindeutig mit Ja beantwortet wird wie diese:

Sollte die direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild auch in Deutschland/Österreich/Italien/Frankreich eingeführt werden?


Die Antworten sind eindeutig: JA sagen
79% in Baden-Württemberg
76% in Vorarlberg
72% in (Hoch-)Savoyen
82% in Como/Varese

Die Antworten sind deutlich. Sehr deutlich. Politikverdrossenheit scheint offensichtlich. Ganz eindeutig fühlen sich die Büger in den Nachbarländern nicht (mehr) als Teil der Demokratie, sie sehen sich von einer Kaste regiert, deren Programme sich in Wahlbroschüren unterscheiden, nicht aber im Willen und der Kompetenz zur Durchsetzung dieser Programme. Das Kreuzchen alle vier Jahre ist als Willenskundgebung komplett ungenügend geworden. Die Bürger wollen keiner Regierung einen vierjährigen Freipass geben. An einzelnen Sachentscheiden aber lässt sich sowohl der Wille der Stimmenden wie die Nähe der Politiker zur Basis messen – oder fördern.