Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Sache mit der finanziellen Unabhängigkeit

∞  26 Juni 2012, 14:24

Es ist ja gut und recht, immer mal wieder in Aphorismen zu stöbern, aber manchmal ist es schon unfassbar, welchen Sturm an Gedanken ein einziger, oder auch zwei Sätze auslösen können:

Das Geld, das man besitzt, ist das Mittel zur Freiheit, dasjenige, dem man nachjagt, das Mittel zur Knechtschaft.
Jean-Jacques Rousseau


Da frage ich mich, wie denn bei uns ein Mensch glücklich werden soll, der nach den Regeln der Wirtschaft lebt? Sie will nämlich ständiges Wachstum. Nur so ist wachsender Wohlstand möglich. Bei entsprechender Schuldenlast, wie wir sie “aktuell” haben, ja immer mehr anhäufen, ist diese Jagd nur schon nötig, um Besitzstand zu wahren. Wie also ist es um den Besitzenden bestellt, dessen Geld in Gefahr gerät, sich verbraucht, entwertet? Wie sehr verhindert Verlustangst diese sagenhafte Freiheit?

Wie besitzt umgekehrt jemand Geld, der es nur hat, weil er ihm zuvor nachgejagt ist? Hat ein solcher Mensch je die Möglichkeit, die Jagd aufzugeben?

Geld zu haben, macht nicht unabhängig. Dafür ist eine Einstellung nötig, eine Form von Selbstvertrauen, die sich nicht über einen Besitzstand definiert: Unabhängigkeit, Freiheit ist, wird sie materiell definiert, ein Mythos, der sich jederzeit zerschmettern lässt. Unabhängig muss man im Kopf werden – und dieser Prozess ist niemals wirklich abgeschlossen. Denn Zukunftsängste können plötzlich unvermittelt aufkommen.

Hätte mir jemand vor Jahren prophezeit, ich würde so oft darüber nachdenken, ob es besser gewesen wäre, den beruflichen Weg mit Vollgas weiter zu gehen, so hätte ich ihn ausgelacht. Unmöglich. Nun, die Welt ist eine andere geworden, die Unsicherheiten in unser aller Bewusstsein wachsen sich manchmal zu quälenden gedanklichen Geschwüren aus. Doch genau solche Situationen sind Indikatoren, welche Menschen mit etwas Zeit für sich selbst den Spiegel vorhalten:

Sag mal, Freund, wie ist es um Deine Unabhängigkeit wirklich bestellt? Hast Du sie Dir gekauft und befürchtest Du nun, dass Dir das Leben die Garantie auf den Kauf aufkündigen könnte? Unzähligen Menschen ergeht es so im eigentlich wohlverdienten Ruhestand. Ich habe immer gesagt, ich würde mir mit meinem Lebensmodell Zeit kaufen wollen. Zeit statt Lohn, Zeit als Lohn. Mir ist Zeit so lieb geworden, dass ich manche Abstriche an meinen Lebensumständen machen würde, nur um diese Herausforderung nicht abtreten zu müssen: Zeit gestalten zu können.

Ich bin bei dieser Zeitgestaltung gerade in den letzten Monaten eher mässig erfolgreich gewesen – aber genau darin liegt der Wert der Selbstfindung: Mein Erstaunen ist gross, wie leichtfertig man sich immer wieder selbst seine Zeit vollschüttet mit selbst definierten Notwendigkeiten, die objektiv gesehen völlig unnötig bleiben würden, könnte man nur die ursprünglichen Absichten weiter erinnern und aufrecht erhalten. Und wenn dieser Beschäftigung die Legitimation des Geldverdienens fehlt, dann kann man sich in seiner belanglosen Zeitverbrennung viel weniger in die Tasche lügen.

Auf diesem harten Weg komme ich persönlich am ehesten zu ein bisschen mehr Unabhängigkeit – und damit innerer Freiheit, die – eben – gar keine materiellen Bedingungen braucht, um Bestand zu haben. DAS ist Freiheit. Ist sie mal errungen, muss man ihren Verlust auch nicht fürchten. Sie lässt sich kaum stehlen, ist resistent gegen Inflation und trägt einen Stempel: “Persönlich, nicht übertragbar.”