Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Realität ist immer vielschichtiger als die Information

∞  10 Mai 2010, 19:26

Es gibt Bretter, gegen die man Jahre lang mit dem Kopf schlägt, bis endlich jemand kommt und einem hilft, sie abzumontieren…
Ich bin ganz bestimmt nicht der einzige, der sich daran stört, dass es immer wieder Wissenschaftler gibt, welche grossmeisterlich im Stile eines Zauberkünstlers verkünden, “eines der letzten Geheimnisse” (oder so was in der Art) entschlüsselt zu haben. Nachgeschoben wird die Verheissung ungeahnter neuer Möglichkeiten und vielleicht wieder einmal der Satz, die Welt hätte keine Geheimnisse mehr.

Masslos haben mich all die Jahre immer wieder solche Aussagen geärgert. Mehr noch: Sie haben mich bestürzt, mir Angst gemacht: Denn wenn Forscher Ihre Demut verlieren, die Fähigkeit, zu staunen und das Bewusstsein verloren geht, dass der Triumph der neuesten Entdeckung nicht mehr ist als der neue momentane Stand des menschlichen Unwissens – ja dann wird es gefährlich.
Tja, und nun also rede ich mit meinem Freund, Angestellter eines Universitätsbetriebes, über dieses mein Unbehagen. Und er lächelt. Und dann fragt er:

Hast Du Dir schon mal überlegt, durch welchen Filter alle diese Verlautbarungen medial denn gehen, bevor sie Dir zu Ohren kommen? Wenig später ist mir klar: Auch hier spielt die Triage der Massenmedien die entscheidende Rolle: Sie bestimmt, welche Art Information ich bekomme – und also wird mir die medial geile Variante des Wissenschaftlers präsentiert, um es jetzt bewusst zornig zu formulieren: Das Medium will die klare, einfache, plakative Botschaft. Zu viele Zwischentöne verwirren. Und die schreierische Verheissung ist nun mal interessanter als die differenzierte abwägende Prognose. Ich glaube, dass wir uns dies immer wieder und in immer stärkerem Ausmass bewusst machen müssen: Was wir aus den verschiedensten Forschungs, Gesellschafts- und wissensbereichen vermittelt bekommen, ist das, was in der Masse einzuschlagen vermag.
Genau so, wie radikale bis populistische Statements und entsprechend kantige Figuren und die scheinbar so hehre Auseinandersetzung mit ihnen in Form von “Kritik” ein Abstimmungsthema oder überhaupt eine öffentliche Debatte bestimmen können, so ist es auch in allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens: Es wird für uns entschieden, welche Art Information uns zumutbar erscheint.

Ich bin sicher nicht der einzige, dem es unwohl wird, wenn er Politiker erklären hört, wie ich, “der Bürger” gewählt hätte und was ich folglich wolle – und wir alle sind wohl schon wütend geworden, wenn Politiker bei der Gelegenheit erklären, die Komplexität der Vorlage hätte dem Stimmbürger nicht erklärt werden können.
Aber was uns noch viel mehr beschäftigen sollte: Es ist dies nicht nur die Sichtweise des Politkers, es ist jene der Medien. Sie haben sich längst ihr Bild von Ihnen und von mir gemacht. Und entscheiden, wieviel Differenzierung uns denn zugemutet werden könne. Das ist ganz praktisch, denn es bedeutet auch, dass man sich selbst an den vordergründigen populistischen Auseinandersetzungen reiben kann. Der Holzschnitt erfordert weniger Feinschliff als das differenzierende Argument – und damit auch weniger eigene Herausforderung, fachliche Vertiefung etc.

Liege ich falsch? Ich hoffe es. Aber ich bin mir nicht sicher. Gar nicht sicher.
Was ich aber weiss: Sich informieren zu wollen ist auch für einen mündigen Bürger eine echte Herausforderung geworden.


:::
Bildquelle: Kounadeas by iStockphoto >
:::