Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Pflegerin und der Patient

∞  30 September 2010, 17:18

Wenn man jemanden ins Spital begleitet und über diverseste Untersuchungen und eine OP hinaus Zeit mit Angehörigen teilt, so bekommt man einen sehr guten Eindruck davon, wie viele Menschen in den unterschiedlichsten Funktionen so einen Betrieb beseelen. Ich möchte hier also ganz konkret einmal von den Pflegerinnen und Pflegern sprechen, und bitte alle Arten von Pflegefachleuten, sich doch mit angesprochen zu fühlen, auch wenn ich deren Funktionen nie korrekt benennen könnte. Sie alle, die Sie kranken Menschen begegnen, sind mit gemeint.

Wer in ein Spital eintritt, hat meist einen grossen Rucksack an Unsicherheit dabei. Es gibt die verschiedensten Formen, damit umzugehen. Sehr oft wird man es zu überspielen versuchen, denke ich. Die Ärzte verbringen dabei oft bei weitem nicht die meiste Zeit mit den Patienten – und vor allem müssen die Informationen, die man von ihnen erhält, meist nachträglich verarbeitet werden – in einer Stille und Fremde, welche jedes Wort nochmals nachhallen lassen kann.

Mir wurde dabei gestern das Geschenk zuteil, eine Pflegerin für Körper und Seele kennen zu lernen – aus der “sicheren Warte” eines nicht direkt betroffenen Menschen, der aber als mitleidender Freund genau so gute Nachrichten und nichts anderes zu hören wünscht. Aber man müsste schon ein ziemlicher Vierschrot sein, um nicht auch als Begleiter zu spüren, wie viel jedes Zeichen von Sorge, Pflege, Kompetenz und Hinwendung bedeutet, wenn man an seine körperlichen und seelischen Reserven gehen muss. Und diese Frau gestern war unglaublich.

Da ich weiss, wie viele es davon gibt, und wie viel daran schlicht natürliche Gabe ist, die nicht gelernt werden kann, möchte ich hier und heute diesen Menschen ein kleines Ehrengedenken ausrichten. Selbst wenn Sie uns auf dem Krankenbett “nur” einen Tee reichen, wenn Sie uns das Kissen richten, den Blutdruck messen, zum ersten Mal zum Sitzen aufhelfen: Es geht weit über die Funktion hinaus. Alles, was sie tun, hat Bedeutung, ist Seelenbalsam und ein Stück Geborgenheit inmitten eines grossen Lochs voller Ungewissheiten. Nichts hat diese Frau gestern ausgelassen, völlig ruhig hat sie ihren Dienst versehen und schien überall mit natürlicher, tief empfundener Güte gleichzeitig präsent zu sein. Es war mehr als eine halbe Stunde nach ihrem eigentlichen Dienstschluss, als wir endlich, mit dem Patienten, gehen konnten. Da war kein Hetzen, keine kleinste Unaufmerksamkeit. Die Frau ruhte an diesem Ort und gab den weissen Gängen Farbe, Gespür und Wärme. Die Nacht zog auf, ohne düstere Gedanken mitzubringen, und ich war mir einfach sicher, dass wir auch gut zu Hause ankommen würden. Alle zusammen.

Ein Spital ist für Menschen, welche eine solche Dienstbereitschaft mitbringen, gewiss ein Ort der Erfüllung. Es ist segensreich, auch für die Helfenden selbst, wenn sie ihre Bestimmung darin finden können, in dieser Weise zu wirken. Aber es kommt mir so vor, dass ein solcher Spital, in dem es immer einen Grund gibt, noch mehr zu tun und noch länger zu arbeiten, auch die Gefahr in sich birgt, wie eine Kerze, die an zwei Enden angezündet wird, zu verbrennen. Und deshalb sollte es uns als Begleiter von Patienten, als Direktbetroffene, in welcher Form auch immer, stets bewusst sein, dass wir in der Art, wie wir diese Hilfe annehmen und verdanken, dazu beitragen können, dass Energie auch zurück fliesst.

Womit ich zu meinem mir so herzensnahen Patienten kommen möchte. Ich habe auch ihm noch gedankt an diesem Abend: Die Art, wie er die Herausforderungen seiner Krankheit annehmen kann und sie damit zu bewältigen vermag, hat eine grosse Strahlkraft auf mich. Der vermeintlich Schwache kann so zum starken Leitstern werden, an dem ich mich bestimmt orientieren werde, wann immer mir selbst ein Spitalaufenthalt aufgetragen sein sollte. Wie viele berührende Geschichten mag es an diesem einzigen Ort jeden Tag geben?