Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Kunst des Rücktritts

∞  20 Juni 2011, 21:02

Wenn Sportler die Zeit ihres Rücktritts verpassen, beschädigen sie damit ihren Ruf. Ein respektloser Trainer ist dafür selten der Grund. Die Einsicht, an Limiten zu stossen, bedingt Objektivität. Eine Art Distanz, welche der Spieler auf dem Rasen kaum finden kann, schon gar nicht, wenn der Atem kürzer wird.


In Deutschland ist ein Rosenkrieg rund um die Beendigung der Nationalmannschaftskarriere von Michael Ballack im Gange. Dabei geht es eigentlich immer um das Gleiche:

Ein Spieler mit echten Verdiensten um die Landesauswahl wird plötzlich nicht mehr regelmässig aufgeboten – oder gar nicht mehr. Neben der Tatsache, dass seine Leistungen kritischer gesehen werden, schmerzt ihn der fehlende Respekt in Kommentaren – oder in der Kommunikation.

Je bekannter ein Spieler ist, je grösser sein Star-Status, um so dicker ist oft sein Ego – und umso schwieriger ist es für ihn, aber auch für den Trainer, den richtigen Weg zu finden und die Art und Weise zu treffen, mit der die Entscheidung mitgeteilt wird – nach innen und aussen. Gleichzeitig ist das, was wir Konsumenten davon mitbekommen, nicht immer die ganze Wahrheit – oder die einzige. Sehr oft kann man von aussen beobachten, wie sich die Spieler das Ende ihrer Nationalmannschaftszeit selbst versalzen, indem sie den Moment verpassen, von sich aus zurück zu treten oder die Ansprüche zurück zu schrauben.

Der langjährige italienische Star Cannavaro ist mittlerweile 38 und wurde soeben von seinem arabischen (!) Verein in die Wüste geschickt. Ballack traf eine sehr schwere Verletzung, für die er natürlich nichts konnte – aber er hatte sich davor entschieden, von Chelsea nach Leverkusen zurück in die Bundesliga zu kommen – und ist in England nicht aufgehalten worden. Alex Frei verzichtete in Dortmund auf eine Vertragsverlängerung und kehrte nach Basel in die Schweiz zurück – auch nicht unbedingt ein Zeichen, auf höchstem Niveau weiter die Knochen hinhalten zu wollen. Die Spieler fühlen in aller Regel sehr gut, wenn der Körper müde zu werden beginnt, und im Grunde müssten sie selbst hellhörig werden, wenn erstmals ihre Verdienste um die Nationalmannschaft aufgezählt werden: Sie selbst haben diesen Ruf begründet, indem sie Leistungswillen und –bereitschaft in jeder Situation gezeigt haben – und ihrerseits frühere Stammkräfte damit verdrängten. Frei ist an seinen Ansprüchen gescheitert, die auf dem Platz in der Nati nicht mehr bestätigt werden konnten, Ballack ist im Stolz verletzt, obwohl er in Leverkusen noch nicht wieder zu alter Form finden konnte. Der Darwinismus des Stärkeren im Sport ist das Abbild gleicher Mechanismen im Beruf. Immer weniger haben Führungskräfte Zeit und Sinn, negative Entscheidungen nicht nur mitzuteilen, sondern auch zu begründen.

Das könnte oft anders laufen, kommt im Ergebnis nur scheinbar aufs gleiche hinaus: Natürlich, der Chef hat entschieden. Aber indem er seinen Entscheid begründet, beweist er Respekt. Er wäre gerade dann angebracht, wenn man einen Spieler (oder Angestellten) vor sich hat, der klaglos jeweils seine Rolle als Teil der Mannschaft angenommen und auch Drecksarbeit geleistet hat: Wie Stephane Grichting. Der Schweizer Innenverteidiger wurde erst dann zu einer festen Grösse in der Nationalmannschaft, als Senderos und Djourou immer wieder verletzt waren – aber es war immer auf ihn Verlass. Nun wurde er am Ende bei Auxerre immer seltener eingesetzt, ebenfalls nach einer Verletzung, und es gibt Gerüchte, dass er eventuell zurück ins Wallis kommt und zukünftig in Sion spielt.

Aus der Nationalmannschaft ist er zurück getreten, nachdem er für den England-Match nicht mal für die Bank nominiert wurde, sondern auf der Tribüne Platz nehmen musste. Der Trainer Hitzfeld hätte ihm dies nebenbei erklärt und kaum mit ihm gesprochen. Grichting fühlt sich respektlos behandelt. Zumindest in seinem Fall möchte man anmahnen wollen, dass dieses Ende anders hätte kommen sollen.

Es fällt dabei auf, dass beinahe jeder Trainer heute, auch jene, die durchaus als kommunikativ gelten, Spieler unter sich haben, die sich früher oder später enttäuscht abwenden – und auch entsprechend äussern: Der Konkurrenzkampf wird immer härter, die Kader immer grösser, und ein kleines Nachlassen in der Leistung bedeutet eine Zurückstufung ins zweite Glied.

Es ist wohl eine grosse Kunst, als Spieler solchen Entwicklungen zuvor zu kommen und von sich aus den Rücktritt zu geben. Das kann, wenn man das Spiel liebt, ja durchaus schrittweise geschehen. Aber nur dann, wenn dies gelingt, ist einem gewiss, dass die Anerkennung für das Geleistete ohne jede Einschränkung ausgedrückt wird. Vom ersten Tag an, an dem der Spieler fehlt.

:::
Zum Thema:
Presseschau Ballack Vs. Löw
Das war respektlos von Hitzfeld
Rücktritt ohne Jubel – und das Ende einer Hassliebe