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Die im Bankgeheimnis steckende Kultur

∞  11 Dezember 2012, 17:00

Für einmal löst ein Blogartikel an anderer Stelle ganz konkrete Repliken aus: Ich möchte im Blog in den nächsten Tagen ein paar Bemerkungen aus einem Blogtext bei Lady Crook aufnehmen ( Schuldbegleichung: Lady Crooks und die Schweiz… ) und ihnen eigene Betrachtungen entgegen stellen. Pro und Contra führen dabei in einen Abnützungskampf, ich weiss. Aber vielleicht lassen sich ein paar Sichtweisen aufzeigen, die in der pauschalen Verschlagwortung jeweils verloren gehen. Wer mag, soll hin lesen, wer nicht, mag, drauf dreschen, still oder laut, ich nehme es hin.

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Ich mag es auch nicht, dass die Schweizer so unkritisch mit […] dem Bankgeheimnis umgehen. (Lady Crook)


Das mag von aussen so scheinen. Tatsächlich ist es so, dass nicht wenige Schweizer den Eindruck haben, das Gegenteil sei der Fall, und kritisieren, dass die Schweiz die Prinzipien des Bankgeheimnisses viel zu schnell aufgibt, unter dem Druck einknickt und damit das Bedürfnis des Bürgers auf Privatsphäre hintergräbt, obwohl diese bei uns, explizit auch die Vermögensverhältnisse betreffend, zivilrechtlich geschützt ist.

Es ist ja nicht so, dass wir das Bankgeheimnis erfunden hätten, um ausländisches Blutgeld anzulocken, wie kolportiert wird. Es gibt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat vielmehr eine offensichtlich sehr spezielle Grundkomponente, wonach sich der Staat sehr viel grösseren Hindernissen gegenüber sieht, den gläsernen Bürger zu schaffen.

Für Ausländer mag es abenteuerlich erscheinen, für mich ist es ein Teil der besonderen Kultur unseres Staatsbürgertums: Das Prinzip der Selbstdeklaration bei den Steuern. Das bedeutet, dass Steuerpflichtige ihre Einnahmen und Vermögenswerte selbst erfassen und diese in der Steuererklärung benennen. Es gibt zwar einen Lohnausweis, aber der wird vom Arbeitgeber nicht an die Steuerbehörden übermittelt, sondern dem Arbeitnehmer zuhanden der Steuererklärung abgegeben. Das mag zwar nur eine administrative, umständlich scheinende Besonderheit sein, in ihr liegt aber eine Grundeinstellung begründet. Es ist meine persönliche Pflicht, meine Vermögenswerte und Nebeneinkünfte korrekt anzugeben – und ich bekomme den Vertrauensvorschuss, dass mir der Staat dieses Verhalten auch zutraut. Aus administrativen Gründen ist es in meiner Heimatgemeinde sogar so, dass wir nicht einmal mehr Bankbelege beilegen sollen – danach wird bei Bedarf separat gefragt.

Daraus entsteht eine Kultur, in welcher der Bürger Kunde des Staates wird – und die Steuerbehörden gehen mit den Steuerpflichtigen denn auch sehr viel respektvoller um, als dies in Deutschland der Fall ist. Komischerweise sieht sich der deutsche Steuerzahler, obwohl er kaum faktische Möglichkeiten hat, als normaler Angesteller Steuern zu umgehen, sehr viel schneller dem Verdacht ausgesetzt, ein Steuersünder zu sein, als dies in der Schweiz der Fall ist.

Und: Darf ein deutscher Steuerbeamter dem Bürger gar keine Auskunft bei Steuerfragen geben, um den Berufsstand der Steuerberater nicht zu gefährden, ist ein Schweizer Beamter dazu verpflichtet, den Steuerpflichtigen zu beraten und ihm die optimalen Abzugsmöglichkeiten, z.B. an Steuerfreibeträgen, zu vermitteln.

Womit wir beim so verwirrenden Begriff der Steuerhinterziehung (entsprechend der Deutschen “Steuerverkürzung”) wären, den wir in der Schweiz vom Steuerbetrug unterscheiden: Weil der Bürger sich selbst einschätzt, sprich seine Vermögenswerte und Einkommen in der Steuererklärung selbst deklariert, liegt dem Vorgang die Möglichkeit inne, auch Fehler zu machen, die gar nicht beabsichtigt sein müssen. Dem Vertrauensprinzip folgend wird in diesem Fall das Bankgeheimnis auch nicht aufgehoben. Anders sieht es beim Steuerbetrug aus (in Deutschland eben Steuerhinterziehung genannt), wenn Dokumente bewusst manipuliert werden.

Auch bei uns gibt es breit gestreut die Meinung, dass wir auf diese “Spitzfindigkeiten” verzichten sollten, dass, wer nichts zu verbergen hat auch offenlegen kann, etc. Es gibt aber auch jene, die darin eine ganz besondere Qualität zwischen Bürger und Staat erkennen, einen wesentlichen Grund auch für die Art und Weise, mit der sich Bürger für diesen Staat verwenden und sich in ihm engagieren – und das will ich verteidigen. Ich bin nämlich auf dieses System stolz.

Das mag alles sehr exotisch klingen in fremden Ohren, und mancher mag fragen, wie denn in Gottes Namen in einem solchen System der Staat zu seinen Geldern kommen soll? Erhebungen und Untersuchungen in diesem Gebiet sind allgemein schwierig, aber die meisten Einschätzungen gehen dahin, dass die Steuermoral der Schweizer überdurchschnittlich gut ist (das lässt sich dann entsprechend auf die Häufigkeit der Schwarzarbeit zur Umgehung der Mehrwertsteuer, auf Versicherungsbetrug etc. übertragen). Es gibt ganz offensichtlich den Umkehreffekt, dass der Schutz der Privatsphäre die Akzeptanz der Steuerpflicht gegenüber dem Staat definiert.

Schlupflöcher gibt es in allen Systemen – schlussendlich ist die Art der Steuersysteme auch Ausdruck der Qualität des Vertrages, den der Staat mit dem Bürger eingeht: Die Art und Weise, wie beide Seiten die Leistungen einfordern, bestimmt auch die Effektivität der Verwendung der Steuersubstrate und den Respekt der Gegenseite.

Natürlich hat das Bankgeheimnis, oder genauer, das Bankkundengeheimnis, schwarzes und schmutziges Geld angezogen. Dass heute noch kolportiert wird, die Schweiz wäre ein Hort für Blutgeld, ist aber falsch, zumindest wenn es um die Handhabe geht, mit der solchem Verdacht begegnet wird: Die Schweiz hat längst ein Geldwäschereigesetz, das sehr viel griffiger ist als so manche Regelung in EU-Mitgliedsländern. Und das Bankgeheimnis in Österreich, Belgien, Luxemburg etc. ist ähnlich ausgeprägt wie in der Schweiz. Die entsprechenden Finanzplätze sind einfach nicht so stark wie Zürich und Genf, und darum nicht so sehr im Fokus. Noch nicht. Und wer glaubt, weniger hoch gezogene Bankgeheimnisse würden das Banking in anderen Staaten per se sauberer machen, wird sich noch häufiger getäuscht sehen.
Das berühmte Nummernkonto übrigens, bei dem nicht einmal die Bank die Identität des Kunden kennt, hat es in Österreich sehr viel länger gegeben als in der Schweiz.

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