Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die grossen Geister sind für die kleine Stille gar nicht nötig

∞  17 Juli 2009, 21:25

Ich habe heute aus dem Kreis meiner Leser ein sehr schönes Mail bekommen – und ich erlaube mir, einen Gedanken daraus aufzunehmen und hier ein wenig auszuführen, in einer Art Antwort an mich selbst, denn alles Schreiben hier, zumindest das Tiefgründige, richtet sich zuerst an mich selbst. Nur so wird es wirklich verbindlich.

Thema in diesem Mail war die freiere Gestaltung der eigenen Zeit, der Abbau der geschäftlichen Termine, das Einrichten einer festen Zeit, die niemandem gehört als Ihnen selbst – und die man auch nicht selbst gleich wieder befüllt. Zeit, die leer bleiben darf. Oder besser: Die sich mit Leere – oder zumindest Stille füllen darf.

Nun, mein heutiger Absender weiss um meine Versuche in diese Richtung. Ich habe ihm auch von meinen Erfahrungen erzählt. Und nun schreibt er mir von seinen Gedanken zu meinem Frei-Tag, und wie er sich freitags immer wieder mal daran erinnert, wie ich diesen Tag begehe.


Ich denke an diesem Wochentag oft an dich und hoffe, dass
er immer noch das für dich sein kann, was du mir darüber erzählt hast.


Nun, lieber Begleiter, da rührst Du etwas an bei mir. Nicht immer gelingt mir das, und gerade heute habe ich durchaus so schnöden Dingen wie geschäftlichen Pendenzen Tribut gezollt. Aber ich war dabei doppelt und dreifach unruhig, so tief gibt es in mir schon eine Art körperliche Erinnerung, wie der Frei-Tag eigentlich aussehen sollte und sich anfühlen müsste.

Und weiter lese ich in diesem Mail von einem harten persönlichen Kampf des Loslassens von geschäftlichen Pflichten und vom Wunsch,


wie Epikur zu leben, in einer Lebenssituation, in der man keinen materiellen Dingen mehr anhaftet und auch keinen Besitz mehr kennt. “Noch bin ich nicht so weit.”


Nachdem ich oben schon die Einschränkungen bei meinen Freitagen oder Freistunden gebeichtet habe, erlaube ich mir hierzu einen Rat:

Ich habe Jahre, wenn nicht Jahrzehnte damit verbracht, mich für meine Zukunft in eine Art klösterliches Leben zu denken, in dem ich keine Zeit damit vergeude, Besitz anzuhäufen, sondern mich darin schulen kann, dem falschen Gefühl der Sicherheit, den Besitz verspricht, auf die Schliche zu kommen und das Wagnis geistiger Freiheit zu (ver-)suchen. Auch ich wollte den ganz grossen Wurf. Und war darin schon wieder der Leistende, von sich selbst Fordernde. Ich machte Lärm in einer Gedankenwelt, die gar keine Chance bekam, Realität zu werden, weil ich sie zu Ende dachte, bevor ich eine Ahnung hatte, was sie wirklich bedeuten würde.

In der wahren Wirklichkeit zeigt sich der Weg, wenn Sie den ersten Schritt tun. Und es ist sehr wohl sehr befreiend und erlösend, wenn Sie dann bemerken können, dass mehr im Moment gar nicht möglich ist, in einem selbst noch nicht frei gelegt ist. Das Schönste daran ist, dass einen das gar nicht stören muss. Man kann die Zufriedenheit am kleinen Erfolg, am ersten kleinen Loslassen lernen. Wer sich seine Zeit frei gibt, löst sich nicht zuletzt von seinen absoluten Vorstellungen, wie das dann aussehen müsste: Er lässt einfach mal an einer kleinen Ecke etwas geschehen, und schaut (sich) zu.

Darum mein Rat: Nicht gleich die ganz grossen Geister bemühen, sich höchstens von ihnen anstossen lassen. Aber richten Sie sich “irgendwo in Ihrer Woche” einen Platz ein. Warum nicht einfach mal eine feste Stunde, an einem bestimmten Tag? “Nur” eine Stunde?” fragen Sie? Falsch. “Eine GANZE Stunde” sollten Sie sagen und damit eine Zeitspanne umfassen, auf die Sie sich richtig freuen, die nichts Bedrohliches hat, die nicht nach Leistung riecht. Die einfach für Sie da ist. Positiv denken, und das begrüssen, was dann passieren kann und darf. Und mit Genuss vielleicht feststellen, dass die Stunde wie von selbst mehr wird, auch anders erlebt wird, sich verlängert, ausstrahlt in den Rest der Woche.


Die Demut, den kleinen Schritt zu gehen, statt auf die Kraft für den grossen zu warten, ist ein Stück Liebesdienst an sich selbst.



Und noch etwas: Die Vorstellung, wie diese stille oder leere Zeit aussehen soll, die ist ganz bestimmt auch schon vorhanden. Meine Prognose: Sie wird über Bord geworfen werden dürfen. Sehr schnell. Würde meine Frau diese Stunden so begehen wie ich – sie sähen ganz anders aus. Thinkabouts Wife ist eine andere Person. Sie zapft die Quellen ihrer inneren Kraft anders an, ist darin auch weiter als ich selbst. Dennoch habe ich aufgehört, sehr schnell aufgegeben, mein eigenes Nachspüren mit dem ihren zu vergleichen. Wir sind verschieden. Rübezahl macht grössere Schritte als die Spitzmaus. Aber beide sind auf dem Weg und behalten Erdung. Oder gewinnen sie neu.

Also, liebe Sinn- und Zeitsucher: Gönnt Euch das kleine Ziel und betrachtet es nicht als lächerlich, sich nicht mehr vorzunehmen. Aber (dies als Letztes), ehren Sie diese Zeit auch dadurch, dass Sie sich nicht scheuen, sie gegenüber jedermann als Ihre eigene Zeit zu verteidigen. Der Satz: “Nein, Freitags um fünf Uhr nachmittags kann ich nicht, da gehört die Zeit nur mir”, ist phantastisch. Und wissen Sie was? Ich habe es noch nie erlebt, dass dies nicht akzeptiert worden wäre. Hinter jeder Stirn kann ich lesen:
“Toll, das möchte ich auch (sagen und leben) können.”