Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Gebärden des Siegers

∞  29 Januar 2012, 15:43

Eindrücke von einem in jeder Beziehung besonderen Tennismatch mit einem bezeichnenden Ende – und Gedanken dazu, was uns Allen das sagen kann (oder über uns aussagt), auch wenn wir für Tennis nichts übrig haben.

Ein absolut episches Tennismatch ist zu Ende. Novak Djokovic gewinnt die Australian Open gegen Rafael Nadal nach 5h53 Minuten im fünften Satz mit 7:5.

Ein unglaubliches Spiel mit physischen Extrem-Leistungen und einer andauernden Hochkonzentration über fast sechs Stunden hat doch nicht endlos gedauert. Nie war dieses Spiel physischer und der Siegeswille offensichtlicher als zwischen diesen beiden Spielern. Und der Siegesjubel von Djokovic passte dazu:

Er kehrt zurück aufs Spielfeld, bekreuzigt sich zwei mal in theatralischer Geste und reisst sich das Tennis-Shirt entzwei und dann vom Leib, um dann mit trommelnden Faustschlägen zur eigenen Box zu laufen und sich davor breit zu machen wie King Kong.

Auch das ist Sport heute – und nirgends wirkt es eben ein Stück weit auch so befremdend wie in der Welt des einstmals weissen und vornehmen Tennis-Sports, der längst neben Fussball die Sportart ist, die am ehesten weltweit verbreitet ist und entsprechend mit der Zelebrierung von Einzelnen zu Heroen vermarktet werden kann.

Sieht man diese Gesten, so kann man mit den Schultern zucken und auf die Erlösung nach einer extremen Anspannung hinweisen. Es gibt aber auch hier – wie überall in unseren Gesellschaften – auch die Beobachtung, dass der Sieg nicht nur alles ist, sondern das einzige – und sich der Sieger entsprechend alles erlauben kann. Dieser Satz ist ein Bonmot, aber auch Ausdruck von Spitzensport – und Erfolgsstreben im geschäftlichen Umfeld.

Nun ist gerade die Spitze des modernen Männertennis eine Mikrowelt, in der sich die Kontrahenten unter einander ganz offensichtlich auch sehr respektieren – auf dem Platz aber ist dafür oft wenig Platz. Das mag eine kleinliche Kritik sein. Ziehen wir aber in Betracht, dass dies Beobachtungen einer Tendenz sind, die ja immer weiter führt, so macht es auch nachdenklich.

Einer der Hauptgründe, warum ich die Verfolgung solcher Ereignisse als echter Sportfan nicht oder selten wirklich als verlorene Zeit betrachte, ist – neben der Faszination, die mich für den Sport einfach einnimmt und den ich mit in die Wiege gelegt bekommen habe – die Beobachtung, dass der Sport immer wieder die Kultur unserer Leistungsgesellschaft abbildet: Was uns im Sport quasi im Durchlauferhitzer einer künstlich zugespitzten Situation begegnet und von den Protagonisten als Sieger wie Verlierer dargestellt wird, ist die Kultur, welche in der Tendenz auch unseren geschäftlichen Alltag bestimmt.

Und die Art, wie wir verlieren und gewinnen, bestimmt auch die Botschaften, mit denen wir unsere Kinder erziehen, die Art, wie wir um Karriereschritte und Aufträge kämpfen – oder um politisches Gehör. Und wo bleiben jene, welche Wert darauf legen, mit Niederlagen positiv umzugehen, wenn solches plötzlich verpönt ist, weil es den Anruch bekommt, man sei eben ein Verlierer, dem nichts anderes übrig bleibe?

Und wo bleiben die Sieger und wie werden sie verlieren, wenn diese Momente der Niederlagen zunehmen? Denn das tun sie. Am Ende jedes Lebens steht eine augenscheinliche Niederlage. Wir sterben nicht im Siegesrausch. Wir werden alt und schwächer, wir sind darauf angelegt, dass wir in jenen Disziplinen, in denen wir gern die Besten sein wollen, eher früher als später Bessere vorlassen müssen. Wer frühzeitig ein Gefühl dafür entwickelt, wie es ist, nicht auf dem Treppchen zu stehen, zu Minderheiten zu gehören, die sich nicht durch positive Einzigartigkeit auszeichnen, kein Problem hat, scheinbar in einer Masse unter zu gehen, wer also mit sich allein im Zimmer sein kann, der ist nie ein Verlierer.

Nur glaube ich, dass wir solche Verlierer zu unser aller Schaden je länger je mehr hervor bringen werden.