Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Fans - unsere unheimlichen Mitbürger

∞  2 September 2012, 16:51

Und wieder liefert der Sport das Thema – und den Blick auf das Phänomen Massensport als Medienereignis – und als Zerr- bis Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Entwicklung.

Der 1. FC Köln ist ein nicht ganz alltäglicher Fussballverein, genau so, wie Köln keine normale Stadt zu sein scheint. Rund um den Fussballclub haben sie irgendwie das ganze Jahr Karneval, und niemandem scheint es je zu gelingen, den Ball dauerhaft flach zu halten. Gewinnt die Mannschaft einmal zwei Spiele hinter einander, so hört so sebstbewusste Töne, dass man meinen könnte, die Deutsche Meisterschaft würde in Kürze gewonnen. In welcher Liga man gerade spielt, scheint dabei sekundär.

In Köln scheitern sie alle, die vermeintlichen Fachleute, die Retter und Sanierer und Sportmanager. Und überall ist Herzblut, die totale Identifikation mit dem Verein. In jedem Heimspiel scheint das Stadion voll zu sein. Nur, die Kirche, in die man geht, erfüllt die Erwartung nicht: Das Seelenheil, das darin liegt, glückseliger Teil eines Mobs der Tollen zu sein. Denn immer gewinnt der Wahn die Oberhand, und so kann man nicht wirklich was aufbauen. Ich glaube fast, wer einigermassen die Wahl hat, versucht, Köln als Arbeitgeber im Fussball zu meiden. Und nun sieht es so aus, dass der Lohn, der natürlich auch in Köln überzogen ist, so eine Art Schmerzensgeld darzustellen beginnt für den Aussatz, dem man sich als Protagonist da aussetzen muss.

Das war für Kevin Pezzoni zuviel [1]. Mag er das sich am eigentlichen Karneval eingehandelte gebrochene Nasenbein noch als “zufällig” ausgemacht haben, so ist ihm danach schon klar gemacht worden, dass er körperlich und psychisch herhalten muss als Bock, auf den man mit Sünde einschlagen kann. Die Anfeindungen sind ihm verbal und als reale körperliche Bedrohung vor seiner Wohnung zu viel geworden und er hat um Auflösung seines Vertrages gebeten.

Nun geben sich alle wieder mal betroffen und zeigen die üblichen Reflexe:

_„Vorfälle, wie wir sie jetzt leider im Umfeld des Fußballs diskutieren, sind das Werk einiger weniger Störer und Chaoten, die mit ihrem Verhalten den gesamten Verein und seine Fans in Verruf bringen“. (Spinner, Präsident des 1. FC Köln).

Und genau damit ist es nicht getan. Denn die Tatsache, dass die “Liebe” der Fans zu “ihrem” Verein in Hass umschlägt, wenn dieser in Abstiegsgefahr gerät, wenn dies ihr psychisches Gerüst zum Einstürzen bringt und jede Hemmung, Gewalt anzuwenden, im Schutz der Fangruppe wegfällt, dann hat das nicht mehr nur mit dem Ausrasten Weniger zu tun, sondern mit der Anonymisierung unserer Gesellschaft, in der sich die Mehrheit allenfalls abzugrenzen versucht, aber nichts mehr dafür unternimmt, dass die Minderheit und deren Verhalten wirklich ausgegrenzt wird. Die Militanten machen eben auch jenen Lärm im Stadion, den die Vereine als “Stimmung” wollen – es gibt in vielen Vereinen “Verhandlungen” mit dem Kern der Fans, was erlaubt ist, und was nicht, und allzu oft hat man dabei das Gefühl, dass die Vereinsoberen lavieren.

Und die Protagonisten auf dem Feld und an der Seitenlinie, und da wird es besonders kritisch, haben kein Gefühl für ihre Verantwortung – auch sie geben das Bild ab, das zum Verhalten auf den Rängen passt: Die Reklamationen, Gesten und verbalen Ausraster gegenüber Schiedsrichtern werden in der Hektik immer extremer und es wird viel zu wenig dafür getan, dass sich ALLE vor der Kamera bewusst werden, dass sie durch ihren Auftritt ihren Sport massgeblich bestimmen.

Es müsste viel mehr Null-Verständnis gegenüber ausfälligen Fans geben – und mehr Bekenntnis zur Eigenverantwortung. Es ist ein absolutes Unding, wenn z.B. die Fans von Düsseldorf sich anlässlich des ersten Heimspiels der ersten Bundesligasaison seit 15 Jahren darüber beschweren, dass ein Teil des Stadions leer bleibt, weil beim Barrage-Spiel gegen die Hertha das Spielfeld vor dem Abpfiff überflutet wurde. Dabei könnte man mit Fug und Recht behaupten, dass die mangelnde Sicherheit im Stadion durch das Verhalten der Sicherheitskräfte und der Zuschauer noch viel gravierendere Sanktionen verdient gehabt hätte. Und mir fehlen die Stimmen aus dem Verein, die dies – mit der nun vorhandenen Distanz – auch klar erkennen und erklären können: Denn genau hier müsste man Gegensteuer geben und klar machen: Fehlverhalten hat Konsequenzen – und SOLL sie auch haben. Das schützt alle, schützt den Sport und lässt Fussball ein Spiel bleiben. Aber das ist ja in den post-religiösen Zeiten vorbei.

Kevin Pezzoli wird nicht der letzte sein, der solche Erlebnisse haben muss. Es wird – schaut man sich in Europa um – immer mehr Frustrierte geben, welche sich das bisschen Erfolgsgefühl in jenen Typen sucht, die für sie wie Gladiatoren die Siege einfahren sollen, die sie selbst nicht schaffen. Und gelingt das nicht, sind die enttäuschenden Helden die Schuldigen. Sie missbrauchen eine Art von Heldenverehrung, welche die Fussballer, auf jeden Fall jene mit Hirn, und die gibt es, ganz bestimmt nicht suchen fürften.

Und es soll mir niemand mit dem Geld kommen, das sie dafür verdienen. Geld ist hierfür kein Katalysator, kein Entschuldigungsfaktor und keine Begründung, die uns davon befreit, in eine Gesellschaft hinein zu dämmern, in der Blindwütigkeit den Einzelnen zerstören kann, ohne dass wir erkennen, was uns das alle angeht. Kevin Pezzoli kann uns nicht egal sein. Auch dann nicht, wenn wir noch nie ein Fussballspiel gesehen haben.

—-
[1] Von den eigenen Fans zur Vertragsauflösung gemobbt