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Die (ehemals) rückständigen Schweizer Männer

∞  14 Dezember 2012, 12:16

(Update 13h58)

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Zitat:

Die Schweizer haben gravierende Schwierigkeiten mit dem Fortschritt. Man beachte, dass die Schweiz erst 1990 flächendeckend das Frauenstimmrecht eingeführt hat.
(Lady Crook)

Ja, das wird uns gut und gerne und häufig vorgehalten. Die rückständigen Bergler und Hinterwäldler, welche die Frauen nicht nur ausschliesslich an den Herd und in die Waschküche denken und womöglich zuhause einschliessen, wenn sie selbst aus dem Haus gehen.

Das nationale Frauenstimmrecht wurde durch eine Volksabstimung 1971 eingeführt, kantonal zum Teil noch später, und in Appenzell Innerrhoden musste es tatsächlich am Ende gerichtlich verfügt werden (während die Landsgemeinde in Ausserrhoden das Frauenstimmrecht doch noch annahm). Die Mühlen mahlen manchmal langsam, dafür sind aber die Veränderungen immer Ausdruck einer tatsächlich vollzogenen Wandlung in der Gesellschaft und entsprechende neue Regeln führen auch sehr schnell zu praktischen Resultaten: Es dauerte in Appenzell Ausserrhoden dann nur vier Jahre, bis es als erster Kanton zwei Frauen in die Regierung gewählt hatte, und drei Jahre später war die erste Frau Regierungsratspräsidentin, Frau Landammann Kleiner [1].

Dem im besten Fall sanften Amusement unserer Nachbarn zu unserer Rückständigkeit mag ich noch etwas entgegen halten: Wir sind das einzige Land, in dem das Frauenstimmrecht über eine Volksabstimmung eingeführt wurde, und ich bin mir auch hier nicht so sicher, ob dies andernorts so viel früher hingehauen hätte. Heute sind wir bezüglich der Integration der Frauen in die aktive Politik sehr viel weiter als die meisten Nachbarstaaten: Vor nicht allzu langer Zeit waren vier der sieben Minister Bundesrätinnen, aktuell sind es drei Frauen neben vier Männern, die unterstützende Bundeskanzlerin ist auch auch eine Frau. Das mögen alles einzelne Tatsachen sein, die für den Stand der Gleichstellung in Gesellschaft und Politik nicht wirklich repräsentativ sind, aber sie gehören genannt, wenn man umgekehrt der Schweiz die späte Einführung des Frauenstimmrechts noch immer vorhält.

Dass bei uns manche gesellschaftliche Veränderung sich nur mühsam institutionalisiert, ist für Betroffene oft stossend – es garantiert aber auch eine Form der Stabilität, die nicht nur rückwärtsgewandte Engstirnigkeit bedeutet, sondern auch nachhaltige Umsetzungen erleichtert, weil diese Veränderungen wirklich von Mehrheiten erkämpft werden. Es ist dies ein sehr gutes Beispiel dafür, wie sich jeder Einzelne zur direkten Demokratie stellt: Ist es angebracht, direktes Stimmrecht der Bornierten ins Pfefferland zu wünschen, oder Teil des gesellschaftlichen Prozesses, mit der Unbelehrbarkeit der anderen politisch leben zu müssen (zu können)?

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Artikel: [1]: swissinfo.ch – Wir haben Ausserrhoden von der Rückständigkeit befreit

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