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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Autorität, die falsche und die fehlende

∞  20 Januar 2014, 23:42

Es ist ja auch für mich ein grosses Thema: Der fehlende Respekt, den wir für andere aufbringen. Naturgemäss ist es wohl so, dass ältere Menschen jeder Generation dies den Jungen vorwerfen. Der Jungend bleibt es vorbehalten, frech zu sein. Was wir aber beklagen sollten, ist nicht so sehr der mangelnde Respekt vor Autoritäten, sondern die fehlende Wertschätzung anderer Leistungen, mangelnde Fairness und die fehlende Ächtung von Umdeutern des Regelwerks im Wettbewerb.


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Und wer sich gegen Regeln sträubt, wer Institutionen kritisiert, muss sich gewahr sein, dass sein eigenes Verhalten genau unter die Lupe genommen wird. Das war schon immer so, ist heute aber viel leichter als in früheren Generationen. Vor allem deshhalb, weil Autoritäten heute kaum mehr Wohlverhalten einfordern können. Lehrer müssen sich gegen Eltern verteidigen, deren Kinder immer die Unschuldigen sind, Ärzte gelten als potentielle Kunstfehlervertuscher, Pfarrer sind Angehörige einer Kirche, deren Vertreter sich auf den verschiedensten Ebenen jeder Moral entsagt haben. Unser Problem ist eher, dass wir keine Autoritäten mehr haben, dass ein jeder den moralisch-rechtsfreien Raum sucht und der Erfolg fast alles rechtfertigt. Für den möglichen grossen persönlichen Reibach deklarieren wir die freien Märkte bis zum Exzess, zum Irrgarten zerbröckelnder Menschlichkeit.

Alte Menschen haben ein anderes Problem. Sie können sich noch an eine Erziehung und eine Berufsbildung erinenrn, in der Kränkungen durch Autoritäten die Regel waren, wenn man nicht aus dem richtigen Hause kam und womöglich Stallgeruch hatte. Uneheliches Kind zu sein oder geschiedene Eltern zu haben oder eine Mutter aus dem falschen Stand konnte genau so zum ständigen gesellschaftlichen Spiessrutenlauf entarten wie es kaum ein anderes Ziel gab, als sich in genau dieser Gesellschaft doch einen Platz zu erkämpfen – den es nie geben würde. Und so gibt es Menschen, die trotz aller persönlichen Erfolge gegen die Kränkungen, die ihnen auf der Seele liegen nie ankommen, ihnen nie wirklich die persönliche Lebensbilanz entgegen stellen konnten. Mochte man noch so wohl geratene Kinder haben, ein gutes Auskommen, ein eigenes Beziehungsnetz, mochten die alten Geschichten für Zuhörer gefühlte hundert Jahre zurück liegen – ganz offensichtlich gärten und schwefelten sie noch immer in der Seele – und im schlimmsten Fall tun sie es noch immer, wenn das hohe Alter nichts mehr wahrnimmt vom leben als ausgerechnet eine solche Jugend.

Mit der Macht der Autorität lässt sich definitiv eine Menge Leid begründen. Oder aber die Fügung der Führung durch die Umsichtigkeit eines wohlmeinenden Lehrers. In den meisten alten Leben gibt es beide Charaktere – die Frage ist nur, an welchen Weichen des Lebens. Das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein – man kann es pflegen und hegen, bis es einen definitiv wieder einholt und zerfrisst.

Wer also sind wir? Das, was die Welt in uns zu sehen bereit war und ist, das, was uns gleichgültige Menschen über uns urteilen, das, was wir erreicht haben oder verpasst, was sich erfüllte oder nicht? Mögen wir das erste noch – in heutiger Zeit, viel leichter abstreifen, holt uns das Hättewärewenn womöglich auch in unserem Alter noch ein. Daher ist es wohl wirklich eine Arbeit zum Segen des Alters, wenn wir “im Saft” eine gesunde Einstellung zu Erfolg und Misserfolg, Urteil und Anerkennung, Wohlverhalten und Kritikwunsch finden – und so leben, dass wir uns diese Übung angewöhnen können: Vor uns selbst zu wissen, wer wir sind und was uns wirklich ausmacht. Versuchen wir das – so können wir auch Respekt erwarten – auch im Umgang mit uns selbst.