Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Aids-Hilfe und wir: Ein Spiegel

∞  25 Januar 2012, 14:32

Die Aids-Hilfe Schweiz hat Probleme. Der Bund verteilt seine Gelder neu auf verschiedene Organisationen und spezifischer auf einzelne Projekte, und vor allem die privaten Spenden sind zurück gegangen. Laut der Aids-Hilfe Schweiz ist das Hauptproblem, dass die Krankheit ihren Schrecken verloren hat: Im Bewusstsein der Menschen hat sich festgesetzt, dass man “an Aids ja nicht mehr stirbt”.

Dabei ist an Aids zu erkranken, ja, nur schon HIV-positiv zu sein, nach wie vor kein Spaziergang. Die Einnahme von Medikamenten muss peinlich genau eingehalten werden, und die Nebenwirkungen können sehr einschränkend sein. Und man bleibt chronisch krank. Aber der verbliebene Schrecken ist nicht gross genug, um unsere “Solidarität” uneingeschränkt einzufordern. Ich sage es mal provokativ:

Die wenigsten Menschen betrachten sich so sehr als Saubermänner und –frauen, dass sie ernsthaft behaupten wollten, wer Aids bekomme, sei in jedem Fall selber schuld und erfahre womöglich die Strafe Gottes, habe in jedem Fall eine moralische Schuld. Für einen Fehltritt ein Todesurteil zu kassieren – das mag man dann doch nicht als allgemein verträglich betrachten, da ist der Blick auf eigene Fehler doch wach genug. Aber wenn “man” damit ja doch irgendwie leben kann – ja, dann bleibt es viel schneller das Problem der anderen und eine Konsequenz, welche diese anderen, um die es doch geht, dann eben doch zu tragen haben. Die Homosexuellen und die Drogensüchtigen. Die da, diese anderen. Denn offenkundig gilt doch weiterhin:

Wir mögen gleichgeschlechtliche Partnerschaften dulden und vielleicht gar erwähnen, dass dadurch doch ein Beweis unserer offenen Gesellschaft und vorhandener Toleranz erbracht werde, in Tat und Wahrheit aber wollen wir mit “solchen” nichts zu tun haben. Sie bleiben uns fremd, und wir sind garantiert bereit, bei uns zu denken, dass diese Gruppen bestimmt und in jedem Fall ein sorgloseres und verantwortungsloseres Sexualverhalten haben als “unsereiner”.

Die Schere in Kopf und Verstand: Sie ist da. Und die Aids-Hilfe Schweiz baut diese Scheren mit ihren Kampagnen auch nicht ab. Sie konzentriert sich von sich aus stark auf homosexuelle Männer – und feiert ein Jubiläumsfest schon mal in einer Lack- und Leder-Umgebung. Damit wird der Ghetto-Verortung in den nicht direkt zugewandten Köpfen zusätzlich Vorschub geleistet, und das ist, zumindest aus der Sicht des Fundraisings, schlicht ungeschickt.

Die Plakatkampagnen mit Persönlichkeiten aus Sport und Kultur, auf denen diese fragen, ob man ihre Auftritte verfolgen oder gar besuchen würde, wenn man wüsste, dass sie HIV-positiv sind, leisten hierzu kein Gegengewicht: Musik hören und immer noch mögen von einem Musiker, der Aids hat oder bekommen könnte, ist kein Akt der Solidarität. Das ist schon mit etwas Gleichgültigkeit möglich.

Nein. Die Aids-Hilfe Schweiz bekommt die nötigen Gelder nicht, weil es die dafür nötige Solidarität tatsächlich nicht gibt. Unsere Gesellschaft ist bei weitem nicht so frei, wie sie sich gibt. Und darum wird die Seuche weiterhin Ausgrenzung bedeuten, welche über unsere Scheu vor schweren Krankheiten hinausgeht.