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Deutsche als Stimmvolk statt Wahlvolk überfordert?

∞  29 Januar 2014, 23:29

Der deutsche Bundespräsident liess wohl verlauten, dass er Volksabstimmungen skeptisch gegenüber stehe. Nach seiner Meinung sind die Bürger nicht in der Lage, über komplexe Sachverhalte an der Urne abzustimmen.

Was für uns Schweizer mit unserer Tradition der direkten Demokratie ein Affront sondergleichen wäre, scheint in Deutschland keine grossen Wellen zu werfen. Nun ist es so, dass jedes Land auf Grund seiner Geschichte tatsächlich ganz unterschiedliche Befindlichkeiten in dieser Frage zeigen kann, und wir sollten nicht vergessen, woran sich Deutsche schmerzlich erinnern, wenn sie an die Jahre vor dem zweiten Weltkrieg denken: An ein elementares Versagen ihrer demokratischen Strukturen, mag es auch da nur um die Ausübung von Wahlrechten (und nicht Stimmrechten) gegangen sein.

Nein, was im Grunde befremden muss, ist, dass die Aussage des Herrn Bundespräsidenten im Raum stehen bleibt – und keine Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Es gibt nicht nur keinen grossen Widerspruch in breiten Kreisen, es gibt auch wenig Antrieb, das zu ändern. Dabei ist der ganze Prozess einer Volksabstimmung zu einer Sachfrage eine Riesenchance, die Demokratie zu erproben, zu beleben und eben gerade zu festigen: Parteien müssen Argumentarien aufbauen, mit denen sie einerseits die Stimmbürger gewinnen wollen, anderseits ihre Interessen vertreten, die Presse muss das kritisch hinterfragen und ihre Rolle definieren: Ist sie nur Meinungstransporteur und Moderator, oder erklärt sie den Sachverhalt selbst – von mehreren Seiten aus gesehen? Wie neutral sieht sie sich? Wie sehr will und kann und darf sie selbst meinungsbildend sein?

Und der Bürger selbst: Es ist viel schwieiriger, gegen ein grosses Bauprojekt zu sein, weil es von den Schwarzen gewollt wird. Denn in der Sache fragt sich jeder Stimmbürger, was ihm denn das konkrete Projekt bringt? Und er will es sich von seiner Partei, seinen Protagonisten erklären lassen, diese dabei genau so auch prüfen wie die eigene Position – und schon sind wir mitten in jenem Prozess, der den Bürger auch in die Verantwortung nimmt.

Und dann wäre da noch die Regierung: Sie überstimmt nun plötzlich nicht mehr, entscheidet und “verantwortet” die eingeschlagenen Richtungen bei den nächsten Wahlen – nein, nun wirbt sie laufend um das JA ihrer Wähler – und betreibt viel eher die Politik der wirklichen Mehrheit – denn sie will ja erfolgreich sein…

Gauck mag Recht haben, weil es gar keine Kultur dafür gibt, wie man “so was” den Bürgern denn erklären sollte – aber wenn es so ist, so schreit das nach Veränderungen!