Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der verlogene Boulevard

∞  27 Februar 2014, 20:08

Für mich ist es immer wieder ein Rätsel, wie gut Boulevard-Journalismus funktioniert. Diese Medien machen ihr Geld mit dem Skandal, der Sünde, wobei die Grösse der Buchstaben und die grelle Sattheit der Farben jede Sinnlichkeit erschlägt. Aber die ist ja auch nicht gefragt. Während leicht bekleidetes bis nacktes Fleisch und das Sex-Inserat in der Werbung Mammon bringen, wird im redaktionellen Teil keine Keule so wild geschwungen wie jene der Moral.

Im Grunde genommen unglaublich. Aber keine Zeitung empört sich so heftig moralisch, wie das Revolverblatt. Es wird ein moralisch komplett rigider Kodex angewendet, von dem keiner so genau zu sagen weiss, wo er eigentlich her kommt und wer ihn festlegt? Scheiternde Menschen? Wir alle tun es ja, machen Fehler, aber im Boulevard wird aus der kleinen Aufregung darüber ein grosser Skandal, der nicht ins Bild gehört, aber natürlich genau dahin kommt.

Der Boulevard formt sich seine Protagonisten. Nicht selten gibt es stille Agreements, und ein Stück weit kann sich wohl jeder SemiPromi zu Beginn entscheiden: Will ich mehr Aufmerksamkeit dank dem Boulevard, oder hänge ich mich nicht ans Fenster? Gehe ich aus Schmusekurs, so treibt das Gesetz des Boulevards früher oder später die Zinsen ein: Jedes Gesicht setzt Patina an, kein Ruhm währt ewig, schon gar nicht dieser, und dann ist es irgendwann Zeit für das gross medial verkündete, verschriene Scheitern, das doch gar nicht sein darf, uns allen aber beschert sein wird. Niemand hält sich auf dem Höhepunkt, wir alle rudern mit der Zeit langsamer. Es ist schön, wenn man das dann auch gar nicht mehr anders können muss – und es ist gewiss ein guter Dienst an der Gesellschaft, die inneren Mechanismen des Boulevards auch und gerade als Leser immer deutlich vor Augen zu haben.

Im Grunde ist es wie sonst auch im Leben: Empört Euch über unsere Missachtungen unserer Lebensgrundlage, aber entrüstet Euch nicht über die scheinbare (Un)Moral Einzelner. Die Aufregung deckt das Essenzielle zu. Und wirklich wichtig ist das, was in normal grossen Lettern genau so klar zu lesen ist, wie in fetten Buchstaben.